Außenansicht der Fassade des Scharoun-Hochhauses mit Laubengängen und Balkonen. Foto: Britta Leuermann

Hochhaus-Hingucker: Hier gehen Sanierung und Denkmalschutz Hand in Hand

Stararchitekt Hans Scharoun schuf in der Reinickendorfer Rollbergesiedlung einst visionäre Baukunst, doch auch solche Ausnahmeobjekte zeigen irgendwann Alterserscheinungen. Nun wird das heutige Gewobag-Gebäude fit für die Zukunft gemacht – mit viel Liebe fürs Detail.

„Baujahr 1969“ steht am Aufzug in den 21. Stock. Von dort geht es aufs Dach hinaus und eine schwindelerregende Wendeltreppe hoch auf einen zugigen Ausguck. Das 360-Grad-Panorama: atemberaubend.

Nach Süden schweift der Blick über die Hochhausgebirge des Märkischen Viertels auf die Skyline von Berlin-Mitte mit Fernsehturm und Domkuppel, nach Norden erstrecken sich Wiesen, Felder und Wälder über die Berlin-Brandenburgische Landesgrenze bis zum Horizont. Kein Wunder, dass den Architekten Hans Scharoun dieser Bauplatz gereizt hat. Der Baumeister der Berliner Philharmonie sah seine Bauten immer als Teil einer Landschaft.

Die MieterInnen seines Wohnhochhauses, das heute zum Bestand der Gewobag zählt, sollten den Ausblick nicht nur von ihren Fenstern und Balkonen erleben können, sondern auch auf dem Weg zwischen Fahrstuhl und Wohnungstüren. Um dies zu ermöglichen, führen offene Laubengänge von den beiden Treppenhäusern zu den insgesamt 16 Wohnungen auf jeder Etage.

Die Grundrisse der Wohnungen sind individuell. Flure, Küchen und Bäder liegen auf der Seite der Laubengänge, die überwiegend schiefwinklig geschnittenen hellen Zimmer an der Außenfassade, mit fantastischem Ausblick und Balkon. Wobei sich alle Balkone aus der Fassade herauszudrehen scheinen, der Sonne entgegen und zugleich durch Sichtblenden vor den Blicken der NachbarInnen geschützt.  

Der Architekt wollte möglichst viel Luftigkeit und Wohnqualität für jede der 283 Wohnungen (ein bis dreieinhalb Zimmer) herausholen, das erklärt den originellen Hausgrundriss, der sich aus vier gekrümmten, miteinander verbundenen Hochhausscheiben zusammensetzt.

Organischer Funktionalismus

Hans Scharoun war beides: Funktionalist und zugleich Vertreter einer „organischen“ Architektur, für den der rechte Winkel keinesfalls das Maß aller Dinge war. Von der Vorliebe des gebürtigen Bremers zeugen maritime Motive wie der Ausguck auf dem Dach oder die Bullaugenfenster in den Treppenhäusern des Hochhauses.

Geplant und gebaut wurde es in den 1960er-Jahren, als in Westberlin und der Bundesrepublik, aber auch in der DDR mit immer höheren Wohnhochhäusern experimentiert wurde. Man unterschied damals zwischen Punkt- und Scheibenhochhäusern, doch aus dieser Typologie fällt Scharouns Entwurf heraus.

Eigentlich handelt es sich um zwei separate, nur durch eine schmale Wand verbundene Wohntürme nach dem Modell des Hochhauses „Salute“, das Scharoun einige Jahre zuvor in Stuttgart realisiert hatte. Wie dort setzte er aufs Dach Ateliers, von denen er sagte, sie seien „für richtige Maler ungeeignet, sondern mehr für Verrückte gedacht, die sich eine ausgefallenere Wohnungsform wünschen und leisten können“.

Nicht nur die Höhe ist eine Herausforderung

Die Erschließung der Wohnungen durch Laubengänge – also außen liegende Zugänge –war seinerzeit nichts Ungewöhnliches, hat sich aber nicht durchgesetzt, denn sie hat auch Nachteile. Bei starkem Wind, Regen und Frost kann es direkt vor der Wohnungstür durchaus ungemütlich werden, erst recht im 20. Stock.

Im Lauf der Jahrzehnte hat die Witterung auch der Bausubstanz zugesetzt. Der Putz an den Laubengängen zeigt Risse und Ausbesserungen. Um das Haus herum stehen niedrige Gerüste, die sicherstellen, dass Passanten nicht von herabfallenden Teilen der Betonfassade getroffen werden.

Seit Ende November 2023 wird das markante Bauwerk fit für die Zukunft gemacht. „Schon der Gerüstbau ist bei so einem Hochhaus ein Abenteuer“, sagt Emiliyan Dimov, Projektleiter bei der Gewobag. Die Laubengänge werden umfassend saniert, vom Beton und der Entwässerung bis zu den Bodenbelägen und Geländern. Eine der Herausforderungen: Da das Haus unter Denkmalschutz steht, soll möglichst viel Bausubstanz erhalten werden.

Wenn Neues alt aussehen muss

„Während die Laubengänge eine Baustelle sind, müssen die Mieterinnen und Mieter trotzdem zu ihren Wohnungen kommen und Fluchtwege freigehalten werden. Das macht die Ausführung kompliziert“, erklärt Dimov. Durch den Einsatz von extrem schnell aushärtenden Klebern könne man etwa versuchen, unvermeidliche Absperrungen möglichst kurz zu halten. Alle vier Stränge der Laubengänge sollen denkmalgerecht saniert werden.

Weniger groß ist der Verschleiß an den rund 300 Balkonen, aber auch jene sind Teil der Sanierungsmaßnahmen. Die in den Sechzigern dort verbauten Betonelemente sind nur sehr begrenzt wiederverwendbar, sagt der Projektleiter. „Das heißt, wir müssen mit neuen Materialien etwas bauen, was aussieht wie zu Scharouns Zeiten.“ Eine Aufgabe, die durch die Vorgaben der Denkmalschutzbehörde nicht einfacher wird.

Gebäude mit bewegter Geschichte

Gebaut wurde das Scharoun-Hochhaus von der städtischen Wohnungsbaugesellschaft GSW, ringsherum errichtete deren Planungsabteilung von 1966 bis 1972 eine moderne Siedlung mit 2000 Wohnungen – die Rollbergesiedlung, nicht zu verwechseln mit der Rollbergsiedlung in Neukölln.

Auch das Innenleben des Hauses bringe mitunter Herausforderungen mit sich, berichtet der zuständige Hausmeister. Die Gewobag als Vermieterin kämpft hier gegen einen massiven Sanierungsrückstau an, den sie vorfand, als sie das Haus im Jahr 2019 von einem privaten Immobilienunternehmen mit Sitz in Luxemburg erwarb.

2004 wurde die GSW zerschlagen und die gesamte Rollbergesiedlung vom Berliner Senat an einen Hedgefonds verkauft. Die weitere Entwicklung des Rollbergeviertels blieb den Spielregeln des freien Marktes überlassen. Die Wohnungen wurden mit Gewinn weiterverkauft, statt zu investieren. 2019 kehrten sie unsaniert mit einem großen Immobilienpaket zurück in den Besitz des Landes Berlin, vertreten durch die Gewobag.

Neues Stadtteilzentrum eröffnet im Erdgeschoss

Auch wenn Veränderungen Zeit benötigen: Seither hat sich einiges getan. So wurde etwa ein Quartiersmanagement für die Rollbergesiedlung etabliert, das konkrete Handlungsempfehlungen erarbeitet hat. Ganz oben auf der To-do-Liste stand die Einrichtung eines Stadtteilzentrums, um Sozialberatung anzubieten, aber auch Platz für Seniorentreffs, Workshops und Kurse.  Die Gewobag stellt geeignete Räumlichkeiten im Erdgeschoss des Scharoun-Hochhauses bereit – die offizielle Eröffnung fand am 25. April 2024 statt.

Als sozialer Treffpunkt war das Gebäude schon zu Scharouns Zeiten konzipiert, ursprünglich ausgestattet mit einer zentralen Waschanlage, neun Läden, einem Supermarkt, einem Restaurant, vier Arztpraxen und einem Polizeirevier. Mit dem Stadtteilzentrum kehrt auch wieder etwas mehr vom sozialen Anliegen des Architekten in das Hochhaus zurück – und seiner Vision vom Zusammenleben.

Anlaufstelle in der Rollbergesiedlung

Da die Gewobag fast alle Wohnungen in der Rollbergesiedlung vermietet, war der Wunsch der MieterInnen groß, dort auch wieder eine persönliche Anlaufstelle vorzufinden. Anfang 2023 wurde daher am Zabel-Krüger-Damm 48 ein Quartierbüro eröffnet.

Kontakt zu den verschiedenen AkteurInnen in der Siedlung hält Gewobag-Quartierskoordinatorin Julia Rabensdorf, die sich über viele engagieren BewohnerInnen freut, die mitgestalten wollen. So machen der Mieterbeirat und der Quartiersrat immer wieder Vorschläge für Verbesserungen. Ein gemeinsames Projekt mit der gemeinnützigen Stiftung „Kleine Plätze“ zielt zum Beispiel darauf ab, einen ehemaligen Rosengarten zu verschönern, um die Aufenthaltsqualität im Quartier zu steigern. Eine Anwohnerin sammelt mit Kindern regelmäßig Müll aus den Anlagen. Auch die Planungen für das diesjährige Kiezfest am 14. Juni 2024 sind bereits im Gang.

Titelfoto: Britta Leuermann

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