Modernes Märchen made in Spandau 27. Dezember 2023Lesedauer: 4 Min. Artikel anhören Player schließen Von der Waterkant Berlin zur Deutschen Meisterschaft: Nachdem der junge Alex Reich mit seiner Familie nach Deutschland kommt, nimmt er an einem SUP-Kurs für Gewobag-MieterInnen teil. Der Beginn einer sportlichen Erfolgsgeschichte, die nicht nur auf dem Wasser spielt. Es mag ein Klischee sein, aber bei Stand-Up-Paddling (SUP) denkt man gemeinhin eher an Freizeitsport – an Menschen in sommerlicher Badekleidung, die auf einem Brett stehen und entspannt auf einem Badesee herumpaddeln. Dass das Suppen ein ernstzunehmender Wettkampfsport ist, für den auch im Winter hart trainiert wird, ist kaum bekannt, lässt sich aber einem eiskalten Tag in Spandau beobachten. Alex Reich steht in der Havel, auf einem vier Meter langen Hardboard, das mit den aufblasbaren Brettern für Hobbysport wenig zu tun hat. Gekonnt balanciert der 13-Jährige auf dem Wasser, genauso wie seine zwei gleichaltrigen Nebenleute. Dem Trio ist klar: Nass zu werden ist keine Option, die Außentemperatur liegt knapp über dem Gefrierpunkt. „Ins Wasser fallen sie nur, wenn sie das wollen“, versichert ihr Trainer Oliver Tusche. Gerade bei Alex Reich ist das eine erstaunliche Leistung. Erst seit anderthalb Jahren paddelt der Schüler, holte nur wenige Wochen nach dem ersten Stehversuch gleich Bronze bei den Offenen Deutschen Meisterschaften. Vergangenen Sommer folgte Gold über die Langdistanz bei den „Open Ocean“-Meisterschaften. Stand-Up-Paddler Alex Reich (r.) beim Training an der Waterkant Berlin. Foto: Britta Leuermann Sport als Integrationshelfer „Eine Erfolgsstory“, nennt Trainer Tusche den drahtigen Blondschopf, und das nicht nur in sportlicher Sicht. Denn das Beispiel von Alex Reich zeigt auch, welch wichtige Rolle der Sport für eine gelungene Integration spielen kann. Alex‘ Eltern Marina und Ilya Reich stehen am Ufer, mit einer Thermoskanne Tee und Spekulatius, damit sich die Kids aufwärmen können. „Wir sind gerne am Wasser, aber keine Sportler“, sagen sie in gutem Deutsch. Die beiden Spätaussiedler sind vor zweieinhalb Jahren aus Sibirien nach Berlin gezogen und froh, dass Sohn Alex einen Sportverein und Anschluss im neuen Land gefunden hat. „Er hat die Möglichkeit, zu kommunizieren, Freundschaften zu schließen und sich zu entwickeln“, loben sie. Es ist ein Neuanfang für die vierköpfige Familie aus Nowokusnezk, die 2021 umsiedelte. „Bei einem Paddelkurs für MieterInnen ist aufgefallen, was für ein Talent Alex ist.“ Oliver Tusche Die Reichs fanden gleich eine Wohnung: an der Waterkant Berlin, dem neuen Wohnquartier im Spandauer Stadtteil Haselhorst. Die Gewobag baut dort bis 2026 gut 2.500 Mietwohnungen für etwa 6.000 Menschen. Das Quartier ist direkt an der Havel gelegen, samt Sportangebot in Kooperation mit den Wasserfreunden Spandau. So kam SUP-Trainer Tusche 2022 in Kontakt mit den Reichs. „Wir sind hier regelmäßig präsent mit Paddelkursen für die MieterInnen“, sagt der Abteilungsleiter der Spandauer SUP-Abteilung, „bei einem dieser Events ist aufgefallen, was für ein Talent Alex ist.“ Gesunder Mix aus Ehrgeiz und Lockerheit Seit vielen Jahren betreue er Kinder und Jugendliche im Leistungssport, auch im Triathlon, im Handball und der Leichtathletik. Tusche sagt: „Ich habe einfach ein gutes Auge dafür: Alex ist ein Top-Talent.“ Natürlich sei die Konkurrenz etwa im Fußball größer, SUP ist immer noch Trend- und Randsport. „Aber wir überlegen ihn im Canadier auszuprobieren, im Kanusport könnte er richtig was wuppen.“ Was Tusche an seinem Schützling besonders schätzt? Vor allem die Einstellung. „Er diskutiert nicht ewig herum“, lobt der Coach, „und im Training ist er überdurchschnittlich fokussiert und sehr ehrgeizig.“ Als Tusche vor Beginn der Paddeleinheit mit seinem Geländewagen vorfährt, die Bretter auf das Dach geschnallt, steht Alex Reich schon am Anleger und wartet, hilft bereitwillig beim Abladen. Wagen sich auch an kalten Tagen aufs Wasser: Alex Reich, Konstantin Korff und Vivien Franke (v. r.). Foto: Britta Leuermann Gestärktes Selbstvertrauen durch Sport Tusche spricht mit ihm über Wettkämpfe und der Satz fällt: „Unter Silber machen wir es nicht.“ Später sagt er, die Wasserfreunde stünden zwar für Erfolg, aber dies sei Alex‘ eigener Anspruch. Auf fünf bis sieben Trainingseinheiten kommt er pro Woche, dazu geht er weiterhin Schwimmen. „Habt ihr Muskelkater?“, fragt Tusche ihn und seine Mitstreiter Konstantin Korff (11) und Vivien Franke (14), die heute mit aufs Wasser kommen – Alex Reich sogar ohne Neoprenanzug. Tusche nennt ihn „unseren sibirischen Tiger“, er wäre auch bei Minus 40 Grad zur Schule gelaufen. Die Reichs versichern, so kalt sei es nicht gewesen, bei 30 Grad schlössen die Schulen in Sibirien. Dass es einige Klischees über Russland gibt, musste Alex Reich in der Schule erfahren. „Er hatte am Anfang Probleme, weil er gemobbt worden ist“, erzählt Tusche. Die Reichs versichern hingegen, es seien Missverständnisse gewesen, kein Mobbing. Natürlich helfe Sport dem Selbstvertrauen, aber ihr Sohn könne für sich selbst einstehen. „Er hat keinerlei Berührungsängste“, sagt auch Tusche. Im Verein arbeite man dazu mit Geflüchteten, die teils ohne Eltern sind, denen helfe der Sport sehr. Neue Erfahrungen und Kontakte Die Havel als neues Zuhause: Alex Reich an der Waterkant Berlin. Foto: Britta Leuermann Und was sagt das Supertalent selbst? Als Alex Reich aus dem Wasser kommt, scheint er nicht zu frieren. „Mir gefällt das Suppen“, sagt er. „Man lernt Leute kennen, schließt Freundschaften, sieht bei Wettkämpfen neue Orte. Das sind geile Erfahrungen, einfach schön.“ Ob und wie intensiv er dem Sport verbunden bleibe, darüber habe er noch nicht nachgedacht. „Kann sein“, sagt er. Klingt nicht nach verbissenem „Immer mindestens Silber“. Alex Reich ist eben nicht immer ernst und ehrgeizig, sondern schätzt auch die entspannte Seite des Suppens. In Trainingscamps werde auch viel gebadet und geblödelt, sagt Tusche. „Es ist dieses Aloha-Feeling.“ Paddler seien den eher lockeren Surfern mental oft näher als den Kanuten. Tusche selbst trägt lange Haare, Bart und ein buntes Stirnband, grüßt hawaiianisch. „Aloha“ eben. Manche Klischees über Stand-Up-Paddling treffen also zu, andere nicht, Stichwort Kälte. Am Ende ist es eine Mischung, die ähnlich vielfältig ist wie die Wege zum Sport. Die Story von Alex Reich zeigt: Aus einem „Schnupperkurs“ für MieterInnen kann eine echte Erfolgsgeschichte erwachsen. Auf dem Wasser. Und an Land. Titelfoto: Britta Lauermann
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