35 Jahre Mauerfall: Wie Berlin nach der Wende zusammenwuchs 5. November 2024Lesedauer: 5 Min. Artikel anhören Player schließen Die Maueröffnung stellte die Berliner Wohnungswirtschaft nicht nur vor neue Chancen, sondern auch vor gewaltige Aufgaben – nicht zuletzt durch den riesigen Sanierungsbedarf. Über das Zusammenwachsen der Stadt und die Rolle, die die Gewobag dabei spielte. Besondere Anlässe erfordern bekanntlich besondere Maßnahmen. „Am Tag nach dem Mauerfall haben wir vor unserem Sanierungsbüro in Schöneberg Tische mit Kaffee und Kuchen aufgestellt“, erinnert sich Wolfram Tarras, „das war unsere Idee, um die Leute, die aus dem Osten rüberkamen, zu begrüßen.“ Der spätere Prokurist der Gewobag war damals noch Sachbearbeiter in der Bestandsverwaltung bei der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft WIR, die 2001 in den Gewobag-Konzern eingegliedert wurde, doch die denkwürdigen Ereignisse des 9. November 1989 warfen ihre Schatten bereits voraus. Für Tarras begann mit der Wiedervereinigung eine „tolle Zeit mit völlig neuen beruflichen Herausforderungen und Chancen“. Verschiebe den Teiler mit der Maus 35 Jahre Mauerfall: Eine Vorderhaus in der Winsstraße vor und nach der Sanierung. Foto: Gewobag Aufbau neuer Strukturen nach dem Mauerfall Rund 500.000 Wohnungen in Ost-Berlin befanden sich damals in der Obhut volkseigener Betriebe, der sogenannten Kommunalen Wohnungsverwaltungen (KWV). Diese Instrumente der sozialistischen Planwirtschaft sollten nach dem Beitritt zur Bundesrepublik in gemeinnützige Wohnungsbaugesellschaften nach westlichem Vorbild überführt werden, nur stellte sich die Frage, woher das notwendige Know-how für diese Riesenaufgabe kommen sollte. Verschiebe den Teiler mit der Maus 35 Jahre Mauerfall: Ein Innenhof in der Stargarder Straße vor und nach der Sanierung. Foto: Gewobag Der damalige rot-grüne Senat nahm die kommunalen Wohnungsbaugesellschaften in West-Berlin in die Pflicht. Sie bekamen den Auftrag, Kooperationsverträge mit elf Wohnungs-GmbHs in den Ostbezirken zu schließen, die zum 1. Juli 1990 neu gegründet wurden. Das Ziel: der Aufbau neuer Strukturen für die Wohnungsversorgung. Beim Zusammenwachsen der Stadt waren Unternehmen wie die Gewobag somit früh maßgeblich beteiligt. „Das ging damals ruckzuck mit der Aufteilung der volkseigenen Betriebe“, erinnert sich Klaus Herrmann, damals Vorstandsmitglied der Gewobag. „Eines nachts wurden wir ‚Häuptlinge‘ der West-Berliner Wohnungsbaugesellschaft zu einer Sitzung im Osten einbestellt. Nach zwei Stunden waren die Zuteilungen durch.“ Die sanierte Fassade des Hauses in der Schwedter Straße 9a. Foto: Bernhardt Link Die sanierte Fassade des Hauses in der Schliemannstraße 36. Foto: Bernhardt Link Die sanierte Fassade des Hauses in der Knaackstraße 14. Foto: Peter Oehlmann Die sanierte Fassade des Hauses in der Jablonskistraße 25. Foto: Bernhardt Link Die sanierte Fassade des Hauses in der Hufelandstraße 25. Foto: Peter Oehlmann Die sanierte Fassade eines Hauses in der Hagenauer Straße. Foto: Klaus Dombrowsky Das sanierte Hinterhaus der Villa Groterjan in der Schönhauser Allee 129. Foto: Peter Oehlmann Ein sanierter Plattenbau am Ernst-Thälmann-Park. Foto: Verena Brandt Damals und heute: die Flusspferdhofsiedlung wurde ebenfalls von der Gewobag saniert. Foto: Johannes Schneeweiß Die Gewobag kümmerte sich fortan um das Erbe von zwei kommunalen Wohnungsverwaltungen. Im Bezirk Köpenick ging es um 39.200 Mieteinheiten, in Hohenschönhausen um 32.000 Wohnungen, vor allem im DDR-Plattenbau. So stand die Gewobag Pate bei der Gründung der Howoge, während der Köpenicker Bestand später von der Degewo übernommen wurde. Von der Sackkarre zur EDV Der WIR, für die Wolfram Tarras in den Jahren 1989/90 arbeitete, wurde die ehemalige Kommunale Wohnungsverwaltung Prenzlauer Berg als Partner zugesprochen, die seit dem 1. Juli 1990 unter dem Namen WIP – Wohnen in Prenzlauer Berg firmierte. „Die WIR hatte 18.600 Wohnungen in ihrem Bestand, die neu gegründete WIP 77.000 Wohnungen“, erinnert sich Tarras. Er blieb weiterhin bei der WIR angestellt, fuhr aber täglich nach Prenzlauer Berg, um dort als Gruppenleiter ein Team für die Bewirtschaftung, Betriebskostenabrechnung und Mietenentwicklung aufzubauen. Und zu tun gab es mehr als genug. „Die Mietabrechnungen wurden noch mit Sackkarren zwischen den Abteilungen und Außenstellen hin und her gefahren. Eine meiner Aufgaben bestand darin, alles auf eine EDV aus dem Westen umzustellen. Man hat seinerzeit das Organigramm unserer West-Wohnungsbaugesellschaft einfach übernommen und Parallelstrukturen in Prenzlauer Berg aufgebaut“, sagt Tarras. Das habe gut funktioniert. Verschiebe den Teiler mit der Maus 35 Jahre Mauerfall: Ein Treppenhaus in der Dunckerstraße vor und nach der Sanierung. Foto: Gewobag Er selbst sei als „Westimport“ der ersten Stunde von den Kolleginnen und Kollegen aus dem Osten sofort akzeptiert worden. „Das war ein tolles Miteinander. Das Betriebsklima in beiden Gesellschaften, der WIR und der WIP, war sehr familiär. Das war ein zielführendes Arbeiten.“ Auch der damalige Gewobag-Vorstand Klaus Herrmann betont: „Wir haben uns damals bemüht, nicht alles mit neuen Leuten zu machen, sondern den Kollegen im Osten zu helfen, unter den veränderten Bedingungen weiterzuarbeiten.“ Dass Zusammenwachsen ging dabei auf vielen Ebenen vonstatten. Neben den gebildeten Führungstandems entstanden unter den jeweiligen MitarbeiterInnen unzählige Schnittstellen, die sich häufig durch gegenseitige Neugier, Flexibilität und Anpassungsfähigkeit auszeichneten. Etliche Personen pendelten über Jahre zwischen verschiedenen Firmenstandorten, entwickelten neue Abläufe und Lösungen. Ein Austausch, durch den auch unterschiedliche Unternehmenskulturen zusammengeführt wurden. Vor der Sanierung: ein Zimmer in der Oderberger Straße 50. Foto: Gewobag Nach der Sanierung: ein Zimmer in der Oderberger Straße 50. Foto: Gewobag Vor der Sanierung: ein Zimmer in der Oderberger Straße 50. Foto: Gewobag Nach der Sanierung: ein Zimmer in der Oderberger Straße 50. Foto: Gewobag Vor der Sanierung: Die Fassade des Hauses in der Winsstraße 6. Foto: Gewobag Nach der Sanierung: Die Fassade des Hauses in der Winsstraße 6. Foto: Gewobag Vor der Sanierung: Die Fassade des Hauses in der Winsstraße 7. Foto: Gewobag Nach der Sanierung: Die Fassade des Hauses in der Winsstraße 7. Foto: Gewobag Vor der Sanierung: ein Balkon am Ostseeplatz. Foto: Gewobag Nach der Sanierung: ein Balkon am Ostseeplatz. Foto: Gewobag Auch der Wasserturm Prenzlauer Berg am Kollwitzplatz wurde von der Gewobag saniert. Foto: Johannes Schneeweiß Doch ganz ohne Anpassungsschmerzen ging es nicht. Richtig Sorgen hatte Tarras, als 1991 zum ersten Mal allen Mietern in Prenzlauer Berg eine Mieterhöhung angekündigt werden musste. „Ich rechnete mit einer Flut von Beschwerden, aber es blieb erstaunlicherweise still.“ In der DDR-Planwirtschaft waren die Mieten auf dem Niveau von 1936 eingefroren. Mit fatalen Folgen: Da Geld und Handwerker für Instandhaltung und Sanierung in den Altbauquartieren fehlten, waren viele Wohnungen in einem mehr als bedenklichen Zustand. Trotz Wohnungsmangel standen 1990 alleine in Prenzlauer Berg 7500 Einheiten wegen Unbewohnbarkeit leer, in Ost-Berlin insgesamt rund 25.000. Sanierungserfolge und Wohnungsverkäufe Verschiebe den Teiler mit der Maus 35 Jahre Mauerfall: Ein Gebäude in der Stargarder Straße vor und nach der Sanierung. Foto: Gewobag Die Sanierung der maroden Bausubstanz war nur dadurch möglich, dass rasch staatliche Fördermittel in den Osten geleitet wurden. Zwischen 1990 und 1992 investierte allein die WIP 870 Millionen D-Mark in die Instandhaltung, davon waren nur 400 Millionen aus den Mieteinnahmen gedeckt, der Rest kam aus staatlichen Förderprogrammen. Eine Anpassung der Mieten an Westniveau war auf Dauer nicht zu vermeiden, was bei den Betroffenen naturgemäß nicht auf Gegenliebe stieß – ähnlich wie der Stellenabbau im Osten, von dem auch die Wohnungsverwaltungen betroffen waren. Von den 1500 Beschäftigten bei der personell aufgeblähten KWV Prenzlauer Berg blieben bei der Nachfolgerin WIP zuletzt noch 200 Angestellte übrig. Allerdings schmolz auch ihr Bestand, denn der größte Teil wurde an Alteigentümer zurückgegeben oder verkauft. Jetzt Newsletter abonnieren und nichts mehr verpassen! E-Mail Ich stimme zu, dass die Gewobag mir per E-Mail den Newsletter zusendet und dabei die auf mich bezogenen Nutzungsstatistiken auswertet. Die Datenschutzerklärung habe ich gelesen. Meine Einwilligung kann ich jederzeit mit Wirkung für die Zukunft widerrufen. Abonnieren WIP wird Teil der Gewobag Die Transformation war einschneidend, doch unterm Strich erfolgreich, denn die ruinöse Bausubstanz in Prenzlauer Berg und anderen Kiezen konnte gerettet und saniert werden. Dass man vor dem Mauerfall mit der behutsamen Stadterneuerung in West-Berlin bereits Erfahrungen gesammelt hatte, war ein Vorteil. Heute gehört der Prenzlauer Berg zu den gefragtesten Kiezen Berlins. Und: Trotz Gentrifizierung gibt es dort noch etliche bezahlbare Wohnungen, denn die Nachfolgerin der Kommunalen Wohnungsverwaltung, die WIP, wurde 2001 nicht privatisiert, sondern von der Gewobag übernommen. Damit bleibt zumindest ein Teil des ehemaligen DDR-Volkseigentums in der Hand eines gemeinwohlorientierten Unternehmens und der Spekulation auf maximale Rendite entzogen. Verschiebe den Teiler mit der Maus 35 Jahre Mauerfall: Die Fassade des Hauses in der Kopenhagener Straße 72 vor und nach der Sanierung. Foto: Gewobag Flusspferdhofsiedlung kehrt in Gewobag-Bestand zurück Zu den Glücksfällen nach der Wiedervereinigung zählt auch die rasche Rückkehr der 1931 bis 1934 errichteten Flusspferdhofsiedlung in Alt-Hohenschönhausen in den Besitz der Gewobag. Die Siedlung stammt aus der Gründungsphase des Unternehmens und ist ein wichtiger Zeuge für die Leistungsfähigkeit und hohe gestalterische Qualität des sozialen Wohnungsbaus in der Endphase der Weimarer Republik. Dieses für die Geschichte der Gewobag bedeutende Denkmal lag nach Kriegsende im sowjetischen Sektor und war 1947 entschädigungslos enteignet worden. 1991 begannen die Gewobag und die von ihr betreute Wohnungsbaugesellschaft Hohenschönhausen, die fast 900 Wohnungen zu modernisieren und die Außenanlagen wiederherzustellen. Drei Jahre später wurde die Flusspferdhofsiedlung an die Gewobag rückübertragen. Mit dem Laden des Videos akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung von YouTube.Mehr erfahren Video laden YouTube immer entsperren PGRpdiBjbGFzcz0iX2JybGJzLWZsdWlkLXdpZHRoLXZpZGVvLXdyYXBwZXIiPjxpZnJhbWUgdGl0bGU9IldvaGVyIGhhdCBkaWUgRmx1c3NwZmVyZGhvZnNpZWRsdW5nIGlocmVuIE5hbWVuPyIgd2lkdGg9IjUwMCIgaGVpZ2h0PSIyODEiIHNyYz0iaHR0cHM6Ly93d3cueW91dHViZS1ub2Nvb2tpZS5jb20vZW1iZWQvd0V5akI5amNvNHc/ZmVhdHVyZT1vZW1iZWQiIGZyYW1lYm9yZGVyPSIwIiBhbGxvdz0iYWNjZWxlcm9tZXRlcjsgYXV0b3BsYXk7IGNsaXBib2FyZC13cml0ZTsgZW5jcnlwdGVkLW1lZGlhOyBneXJvc2NvcGU7IHBpY3R1cmUtaW4tcGljdHVyZTsgd2ViLXNoYXJlIiByZWZlcnJlcnBvbGljeT0ic3RyaWN0LW9yaWdpbi13aGVuLWNyb3NzLW9yaWdpbiIgYWxsb3dmdWxsc2NyZWVuPjwvaWZyYW1lPjwvZGl2Pg== Berlin-Historiker Michael Bienert führt durch die Flusspferdhofsiedlung. Quelle: Gewobag Die bei der Wiederherstellung dieser Siedlung der Moderne im Osten gesammelten Erfahrungen flossen sehr bald zurück in den Westen, nach Spandau, wo die Gewobag die denkmalgerechte Modernisierung von 2750 Wohnungen der ehemaligen Reichsforschungssiedlung in Angriff nahm, die fast zeitgleich mit der Flusspferdhofsiedlung errichtet wurde. Alles in allem musste sich die Gewobag (deren Bestand im Jahr 1989 „nur“ 30.000 Wohnungen umfasste) nach dem Mauerfall ganz neu aufstellen, deutlich sichtbar am Umzug der Konzernzentrale von Charlottenburg nach Tegel-Süd. Heute ist sie ein Unternehmen, dessen Wohnungsbestand im ehemaligen Ostteil wie im Westteil Berlins weiter wächst, nicht zuletzt durch Neubauprojekte. Damit leistet die Gewobag auch weiterhin einen Beitrag zum Zusammenwachsen Berlins – und damit auch zum sozialen Zusammenhalt in der wiedervereinigten Stadt. Verschiebe den Teiler mit der Maus 35 Jahre Mauerfall: Eine Gewerbeeinheit in der Stargarder Straße vor und nach der Sanierung. Foto: Gewobag Titelfoto: Gewobag
Modernisieren – auch in Krisenzeiten Lieferengpässe, steigende Kosten, neue Klimaschutz-Vorgaben: Nie war die Instandhaltung von Gebäuden so herausfordernd und zugleich so wichtig wie heute. Ines Schenke verantwortet die Bestandsinvestitionen der Gewobag – und bleibt trotz vieler Hürden optimistisch.
Neuer Nutzen für alte Räder: Smarte Kooperation in Charlottenburg-Nord Aus einem Tandem-Projekt der Gewobag mit dem Netzwerk für Bildung und Soziales sind bemerkenswerte Synergieeffekte entstanden. Neben den BewohnerInnen der Paul-Hertz-Siedlung profitieren viele weitere AkteurInnen.