Ein Hochhaus mit einer bemalten Fassade. Darauf zu sehen: Eine akkordeonspielende Frau, deren Instrument sich bei genauerem Hinsehen als Schreibmaschine entpuppt. Foto: Ludger Paffrath

Ein Bild, das bleibt – und Zivilcourage sichtbar macht

Diese Wand steckt voller Mut und Ideen! Die neue One Wall in der Charlottenburger Paul-Hertz-Siedlung ist nicht nur ein Blickfang, sondern verkörpert auch Haltung. Schon der Entstehungsprozess zeigt: Das Kunstwerk löst etwas in Menschen aus.

Menschlichkeit und Zivilcourage haben immer noch ihren Platz, auch in der heutigen Gesellschaft. Das ist die Botschaft des großflächigen Wandgemäldes, das am 9. Oktober 2025 in der Charlottenburger Paul-Hertz-Siedlung eingeweiht wurde. Dort, an einer Hausfassade in der Schwambzeile 7, erinnert neuerdings eine sogenannte One Wall an Maria Terwiel, eine mutige Widerstandskämpferin gegen den Nationalsozialismus, die 1943 hingerichtet wurde.

Bemerkenswert ist nicht nur das Wandbild selbst, sondern auch seine Entstehungsgeschichte. Realisiert wurde das Projekt von der Stiftung Berliner Leben in Kooperation mit der Gedenkstätte Deutscher Widerstand, der Botschaft des Staates Israel und der Gewobag. Der künstlerische Prozess lag indes in den Händen des Künstlerkollektivs innerfields, das das Motiv gemeinsam mit SchülerInnen der nahegelegenen Anna-Freud-Schule entwickelte, doch dazu später mehr.

Kunstwerk mit starker Botschaft

Zur Einweihung Anfang Oktober haben sich gut 100 Personen vor dem Kunstwerk versammelt, darunter AnwohnerInnen, Schulklassen, ProjektpartnerInnen und Angehörige der Familie Terwiel, begleitet von Medien- und Polizeipräsenz. Nach Begrüßungen und Reden wird das Werk mit dem Titel „Akkord“ schließlich feierlich freigegeben. Im Anschluss gibt es Gespräche, Fototermine und Erfrischungen, alles mit unmittelbarer Blickachse auf die hier nach Maria Terwiel benannte Straße, den Terwielsteig.

Das Wandbild zeigt die Widerstandskämpferin mit einem Akkordeon, das zu einer Schreibmaschine wird, aus dem Flugblätter flattern – ein Bildmotiv, das aus historischen Fotografien rekonstruiert wurde. Die Künstler Jakob Tory Bardou und Holger Weißflog erklären, wie sie damit Terwiels Liebe für Musik und ihr unermüdliches Tippen kombiniert haben: „Wir haben das Akkordeon durch die Schreibmaschine ersetzt und dadurch einen schönen Bogen geschlagen zwischen dem Musischen und der Fleißarbeit.“ Mit der Idee, die Papierblätter fliegen zu lassen, erinnern sie an Flugschriften, die von Terwiel einst verbreitet wurden.

Die inhaltliche Einordnung liefert Prof. Dr. Johannes Tuchel, Leiter der Gedenkstätte Deutscher Widerstand. Er skizziert Terwiels Biografie – geboren 1910 in Boppard bei Koblenz, das Studium in Berlin, der Abbruch wegen Diskriminierung für ihre jüdischen Abstammung, das Engagement mit ihrem Verlobten Helmut Himpel, die Verbreitung regimekritischer Flugblätter und Klebezettel – und beschreibt die Härte ihrer Arbeit: „Das war nicht einfach nur ein Druck auf ein Fotokopiergerät, sondern eine harte und mühevolle Arbeit.“

Aus der Vergangenheit für die Gegenwart lernen

Zudem erinnert Tuchel an Verhaftung, Gerichtsverfahren und Hinrichtung: Terwiel wurde in einem Schauprozess, in dem sie nie faire Chancen hatte, zum Tode verurteilt. Tuchel schließt mit dem bewegenden Zitat der gläubigen Christin aus ihrem letzten Brief, das auch die One Wall ziert: „Ich habe absolut keine Angst vor dem Tode und schon mal gar nicht vor der göttlichen Gerechtigkeit. Bleibt euren Grundsätzen treu, haltet immer und ewig zusammen.“

Auch Dr. Daniel Aschheim von der Botschaft des Staates Israel betont die Bedeutung der Erinnerung, vor allem hebt er Terwiels Mut hervor, der überall dort sichtbar werde, wo Menschen trotz persönlicher Gefahr anderen helfen: „Ihr Beispiel zeigt, dass Zivilcourage und Menschlichkeit auch in Zeiten von Terror und Unterdrückung möglich sind.“ Zugleich verweist Aschheim auf den Anstieg antisemitischer Straftaten. Eine Mahnung, die historische Erinnerung lebendig zu halten.

„Wir haben gelernt,
dass Kunst viel mehr ist
als nur Farbe an einer Wand.
Sie kann Erinnerungen bewahren,
sie sichtbar machen und
Menschen verbinden.“

Amanda Szulczyk,
Schülerin und Workshop-Teilnehmerin

Ein besonders bewegender Moment ist das Grußwort von David Terwiel, einem Angehörigen, der das Spannungsverhältnis von familiärer und öffentlicher Erinnerung beschreibt. Es sei eine Erleichterung, die eigene Vorfahrin durch professionelle, distanzierte Vermittlung wiedergegeben zu sehen: „Daraus entsteht eine Glaubwürdigkeit, zu dieser Geschichte kann ich mich dann wiederum auch als Angehöriger verhalten“, sagt der Politikwissenschaftler.

Die lokale Wirkung des Projekts ist ebenfalls spürbar. Susanne Moser, stellvertretende Vorstandsvorsitzende der Stiftung Berliner Leben, betont die Bedeutung der One-Wall-Reihe. „Wir freuen uns sehr, nun schon die dritte Wand in Kooperation mit der Gedenkstätte Deutscher Widerstand und in der Paul-Hertz-Siedlung einzuweihen.“ Insgesamt sind mit dem URBAN NATION Museum bereits über 100 Wände in den Quartieren der Gewobag gestaltet worden. Diese Projekte seien Motor sozialer Quartiersentwicklung, innovatives Bildungsformat und zugleich Teil einer Strategie, Erinnerung in den Stadtraum zu holen und die Nachbarschaften zu beteiligen – durch Workshops, partizipative Prozesse und Informationen via QR-Code und Infotafel.

Susanne Schade, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Gedenkstätte, beschreibt das Mural-Projekt als „einen weiteren Zugang zur Geschichte des Widerstandes“ und lobt die Partizipation der Schülerinnen und Schüler: „Es war ganz beeindruckend zu sehen, wie sich junge Menschen auf so ein schwieriges historisches Thema einlassen.“

SchülerInnen gestalten aktiv mit

Tatsächlich hat die Einbindung der Anna-Freud-Schule den Erinnerungsprozess generationenübergreifend wirksam gemacht. Amanda Szulczyk, Schülerin und Teilnehmerin der Workshops, schildert, wie die Arbeit an Skizzen, das Falten von Papierfliegern als Symbol für Frieden und Freiheit sowie der Besuch der Wandfläche ihr Verständnis von Malerei und Geschichte vertieft hätten: „Wir haben gelernt, dass Kunst viel mehr ist als nur Farbe an einer Wand. Sie kann Erinnerungen bewahren, sie sichtbar machen und Menschen verbinden.“

Die künstlerische Arbeit verlief kollaborativ: innerfields arbeitete über mehrere Workshops mit den SchülerInnen, testete Motive, fotografierte Varianten und reduzierte die Bildsprache am Ende bewusst, um die direkte Verständlichkeit für PassantInnen zu erreichen. Das Ergebnis überzeugt – und reiht sich in die Paul-Hertz-Siedlung mit ihren Straßennamen und bereits existierenden Wandbildern perfekt ein.

Titelfoto: Ludger Paffrath

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