Künstlerin Paula Marie bei der Arbeit an ihrer One Wall in der Paul-Hertz-Siedlung. Foto: Sebastian Kläbsch

Neue One Wall: Gemeinsam erinnern, gemeinsam wachsen

Ein großes Kunstwerk in der Paul-Hertz-Siedlung würdigt den Widerstand gegen den Nationalsozialismus und führt unterschiedliche Generationen des Quartiers zusammen. Ein Projekt, das zeigt, wie die Vergangenheit die Gegenwart prägen kann – und damit auch die Zukunft gestaltet.

Es gibt eine schöne Tradition, allerdings aus traurigem Anlass: Deutschlandweit nutzen Menschen Gedenktage, um sogenannte Stolpersteine zu polieren – kleine, im Boden verlegte Messingtafeln, die Opfern des Nationalsozialismus gewidmet sind. Die Stolpersteine wieder glänzen zu lassen, hilft gegen das Vergessen, nur werden sie im Alltag allzu oft übersehen.

In der Habermannzeile 1C in Charlottenburg-Nord kann man am lebendigen Andenken nicht vorbeischauen: Auf fast 13 Metern Höhe und elf Metern Breite prangen auf einer Mietshausfassade vier Bilder, die den Widerstand gegen die NS-Diktatur thematisieren. Sie zeigen den 1940 getöteten SPD-Politiker Ernst Heilmann, nach dem der benachbarte Heilmannring benannt ist, seine Frau Magdalena mit Tochter Eva sowie Else Behrend-Rosenfeld: Die Jüdin wurde von der Familie in der NS-Zeit versteckt.

Kunst als verbindendes Element

Die vier Porträts blicken Vorbeigehende direkt an. Die Schwarz-Weiß-Figuren wirken, als sähen sie einen aus Fenstern an. Oder aus Stolpersteinen. Geschichte wird anschaulich durch dieses „One Wall“-Projekt der Streetart-Künstlerin Paula Marie, eine Kooperation der Stiftung Gedenkstätte Deutscher Widerstand und der Stiftung Berliner Leben mit Unterstützung der Gewobag.

„Unser Ansatz ist, Erinnerung an Menschen aus dem Widerstand in die Öffentlichkeit zu tragen“, sagt Sabine Sieg von der Gedenkstätte Deutscher Widerstand. Dafür suche man immer neue Wege. „Wir fanden die Idee gut, eine Familie aus dem Widerstand als ‚Mural‘, als Wandbild, zu zeigen.“

Der beste Ort dafür sei der Heilmannring. Viele Straßen der nahen Paul-Hertz-Siedlung erinnern an den Widerstand. Die Gedenkstätte Plötzensee, Hinrichtungsort der Nazis, ist nicht weit entfernt.

Doch nicht jeder hier kennt die Geschichten dazu, auch wenn es einen „Pfad der Erinnerung“ gibt: Geschichte lässt sich immer sichtbarer machen. Also kontaktiere man die Gewobag, der viele Häuser der Gegend gehören, und deren Stiftung Berliner Leben, die sich für Kultur, Bildung, Sport und Soziales einsetzt.

„Wir gestalten oft sogenannte ‚One Walls‘ und ‚Community Walls‘, die Kunst und Kiez zusammen bringen“, erklärt Anne Schmedding, Beauftragte des Vorstands bei der Stiftung Berliner Leben. „Seit 2013 haben wir über 100 Wände im Gewobag-Bestand gestaltet.“ Über das stiftungseigene „Urban Nation Museum“ für zeitgenössische Straßenkunst wurde der Kontakt zu Paula Marie hergestellt.

SchülerInnen erarbeiten Motive

In einem zweitägigen Workshop an der Anna-Freud-Schule wurden die Motive erarbeitet. „Anfangs waren die SchülerInnen etwas zurückhaltend“, berichtet die Künstlerin. Aber schnell hätten sich alle mit großem Elan engagiert. Sie befassten sich mit der Geschichte der Familie Heilmann, Techniken wie Scribbeln und One-Linern, quasi Zeichnen ohne abzusetzen. „Das Zitat ,Jeder Mensch hat das gleiche Recht auf Würde und Existenz‘ auf dem Mural stammt von einer Teilnehmerin“, sagt sie.

Paula Marie brachte das Mural dann in einer guten Woche Arbeit an die Fassade. Der Künstlerin war es dabei wichtig, farblich minimalistisch zu bleiben, da das Thema düster sei. Umso schöner war die Eröffnung im Oktober 2023. „Es war eine bewegende Veranstaltung, bei der neben allen Beteiligen auch Nachfahren der Familie Heilmann vor Ort waren“, erinnert sich Anne Schmedding. Gerade die Worte von Michael Heilmann, dem Enkels Ernst Heilmanns, bewegte die Gäste.

„Für viele SchülerInnen ist der
Nationalsozialismus heute weit weg,
aber durch die Auseinandersetzung
mit dem Thema kriegt es auch für
junge Menschen eine aktuelle Dimension.“

Anne Schmedding

Der SPD-Politiker war schon vor 1933 entschiedener Gegner der Nationalsozialisten, kurz nach ihrer Machtergreifung wurde er verhaftet und 1940 im Konzentrationslager Buchenwald ermordet.

„Für viele Schüler ist das heute weit weg, aber wenn man sich im Workshop damit auseinandersetzt und dann dem Enkel gegenübersteht, kriegt das auch für junge Menschen eine aktuelle Dimension“, sagt Schmedding.

Thema ist aktuell wie lange nicht

Auch Paula Marie beschreibt die Erfahrung als durchweg positiv. „Ein Schüler hielt eine rührende Rede und berichtete von seiner Workshop-Erfahrung.“ Im Nachgang sei das Foto des Wandwerks oft in sozialen Netzwerken geteilt worden. „Mich erreichten rührende Nachrichten, insbesondere aus der jüdischen Community“, sagt die Künstlerin, die betont, wie aktuell das Thema weiterhin sei.

Auch in der Anwohnerschaft kam die Aktion gut an. Als Paula Marie das Mural in sechs Tagen mit einer Hebebühne, Pinsel und Spraydose an die Wand brachte, kam einmal eine Frau mit zwei Kindern vorbei, berichtet Sabine Sieg von der Gedenkstätte Deutscher Widerstand, und sah die Beschriftung. „Da drehte sich das Mädchen um und sagt: Oh, das sind die Heilmanns, so heißt ja unsere Straße.“

Das sei der Wunsch, den man habe, „dass man, wenn man dort wohnt, den Straßennamen auch mit etwas verbinden kann“, sagt Sabine Sieg. Künftig soll auch ein Schild mit einem QR-Code, den man per Handy einscannen kann, Hintergründe zur Familie Heilmann erklären. Es gibt eben viele moderne Methoden, um an die Vergangenheit zu erinnern. Stolpersteine sollte man trotzdem weiter polieren.

Titelfoto: Sebastian Kläbsch

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