Ein junges Mädchen spielt vor weihnachtlicher Dekoration auf einer Geige. Foto: Ralph Maak

Al-Farabi Musikakademie: Wo magische Momente entstehen

In Berlin ansässige Kinder, junge Geflüchtete und die universelle Kraft der Musik – aus diesem Dreiklang wird in der Al-Farabi Musikakademie ein wundervolles Gesamtwerk entwickelt. Erlebbar ist es auch in Quartieren der Gewobag.

Wenn es so etwas wie adventlichen Zauber wirklich gibt, wird er in diesem Moment spürbar. Draußen ist es bereits dunkel, doch drinnen, bei der Weihnachtsfeier in der Kiezstube Reichweindamm im Gewobag-Quartier Charlottenburg-Nord, leuchten die Augen der Menschen an einem Samstag im Dezember um die Wette. Am Weihnachtsbaum funkeln die Lichter, der Duft von Tannenzweigen liegt in der Luft, und vorne auf der kleinen Bühne gruppieren sich vier junge Mädchen ganz eng um Lehrkraft Binha Haase, die auf dem E-Piano spielt. Als sie gemeinsam „Stille Nacht, heilige Nacht“ intonieren, ganz nah, pur und wundervoll, kullern im Publikum Tränen der Rührung. Ein fast magischer Augenblick.

Schon zuvor hatten Amilia, Meri, Sophie und Saliha die Gäste mit ihren Darbietungen berührt, sei es bei Solo-Auftritten, im Duett oder begleitet von Binha Haase. Die Vier zählen zu jenen Kindern, die Gesangs- und Instrumentalunterricht durch die Al-Farabi Musikakademie erhalten – einem Verein, der die Kraft der Musik nutzt, um Kinder und Jugendliche unterschiedlichster Herkunft zusammen zu bringen.

Starke Kooperation mit der Gewobag

„Längst nicht jede Familie hat die Möglichkeit, Musikunterricht zu bezahlen“, sagt Gewobag-Quartierskoordinatorin Florence Dezoteux, „insofern öffnen sich durch die Kooperation mit der Al-Farabi Musikakademie neue Welten für die Kinder. Neben dem musikalischen Know-how gewinnen die Kinder auch Selbstvertrauen und lernen sich zu zeigen und etwas zu präsentieren.“ Ein Grund mehr, weshalb die Gewobag seit Jahren Kooperationspartner des Vereins ist und die Musikakademie finanziell fördert. Ein Teil des Unterrichts für die Kinder aus dem Quartier findet zudem in der örtlichen Kiezstube statt. 

Welche tolle Erfolge die Kinder feiern, ließ sich schon eine Woche zuvor bei einem größeren Al-Farabi-Konzert in Dahlem bewundern, wenngleich der Beginn der finalen Probe zunächst etwas chaotisch klingt. Ehe die Dinge Form annehmen, spielen etliche Geigen durcheinander, werden von Kinderhänden gestimmt und erzeugen ein Tohuwabohu aus Tönen. Umso schöner und harmonischer klingt alles, sobald das Zusammenspiel beginnt, was noch beeindruckender wirkt, wenn man bedenkt, dass einige der jungen MusikerInnen Geflüchtete sind, die erst kürzlich mit dem Geigespielen begonnen haben.

„Ich finde es gut und wichtig,
dass Kinder, die aus diversen Gründen
vielleicht keinen Zugang zu Musik haben,
die Möglichkeit kriegen,
ein Instrument zu lernen.“

Binha Haase,
Lehrkraft der Al-Farabi Musikakademie

Und klar, aufgeregt sind die Kinder ohnehin. Einige haben extra Anzug und Kleid angezogen, andere tragen eher leger Jogginghose und Sneaker. Was sie eint, ist die Liebe zur Musik. „Schön, dass ihr alle da seid!“, ruft Julia Ungureanu, Leiterin des Jugendensembles, als alle Kinder eintreffen, „wir fangen an mit ‚Winter‘ von Vivaldi!“

Niedrigschwelliger Zugang zum Musikunterricht

Trotz sehr unterschiedlicher Voraussetzungen der 8- bis 18-Jährigen klingt es klassisch gut. „Ihr da hinten: Ihr macht das richtig toll“, lobt Ungureanu, „aber ihr könnt das sogar noch ein wenig leiser spielen.“ Es soll ja nach bitterer Kälte klingen.

Später sollen Kinder dann die Seiten nur zupfen, wie Schnee, der ans Fenster klopft. Alle wirken konzentriert, selbst die Kids am Rand, die noch nicht dran sind. Binha Haase kümmert sich im leisen Einzelgespräch um Mariam und Saliha, zehn und neun Jahre. Die Lehrkraft betreut die beiden wöchentlich in der Gruppe in der eingangs erwähnten Kiezstube Reichweindamm. „Ich finde es gut und wichtig, dass Kinder, die aus diversen Gründen vielleicht keinen Zugang zu Musik haben, dadurch die Möglichkeit kriegen, ein Instrument zu lernen“, sagt Binha Haase.

Beim Konzert in Dahlem ist auch Anne Lemke anwesend, Projektleiterin der Musikakademie. Über 100 Kinder seien schon an Standorten in fünf Bezirken dabei, man kooperiert mit Schulen und Gemeinschaftsunterkünften. Die meisten Kids seien etwa neun bis 13 Jahre alt, viele stammten aus arabischen Ländern und Afghanistan.

Aus der Musik entsteht eine Gemeinschaft

„Einige sind erst vor Wochen oder Monaten nach Deutschland gekommen“, sagt Lemke, „da geht es erstmal darum, einen Zugang zu sich selbst, seinen Gefühlen, zur Musik zu schaffen.“ So lernen die Kids, sich ausdrücken, auch ohne Worte, und werden gleich Teil einer Gemeinschaft. Denn neben gemeinsamen Konzerten der Standorte gibt es auch Orchesterfahrten in Jugendheime.

„Das war total cool, wir sind Kanu gefahren und Klettern gegangen“, berichtet Saliha, die neue Freunde gefunden hat. „Es macht Spaß an einem Stück zu arbeiten und immer besser zu werden“, sagt die Neunjährige, die seit zwei Jahren in der Kiezstube übt. Die Geige stellt die Musikakademie.

„Mir ist wichtig, dass die Kinder ohne Vorerfahrung erst einmal Neugier und Freude an Musik entwickeln“, sagt Binha Haase. Sprachbarrieren habe es beim Unterricht in der Paul-Herz-Siedlung nicht gegeben, alle Kinder konnten aus der Schule Deutsch. Die Lehrkraft arbeitet wie viele bei Al-Farabi freiberuflich im Musikbereich in diversen Orchestern und setzt im Unterricht Musikpädagogik ein, auch um Konzentration und Frusttoleranz zu schulen.

Auch Popsongs im Programm

„Wir spielen auch mal einen Popsong, den die Kids mögen, eine Schülerin kam aber auch zu einem Konzert von mir“, berichtet Haase. Projektleiterin Lemke erzählt, wenn sie Kurse leite, werde auch mal Billi Eilish gespielt. Zudem gibt es auch Chöre und Gitarrenkurse an der Al-Farabi Akademie, die nach dem islamischen Musikgelehrten Abu Nasr Muhammad Al-Farabi benannt ist, der als kulturelle Brücke zu Europa galt.

Ähnlich sieht sich die seit 2016 bestehende Akademie bis heute. Zwar waren die Gründer in der Klassik beheimatet, aber Lemke sagt: „Im Grunde ist jede Musik geeignet, ob Klassik, Pop oder Rap. Am Ende ist es Musik, die etwas in einem selbst berührt.“ So wie die Weihnachtslieder beim Konzert in der Kiezstube Reichweindamm.

Titelfoto: Ralph Maak

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