Cameron Carpenter spielt auf einer Orgel. Er ist von hinten zu sehen. Er ist komplett in schwarz gekleidet. Auf der Orgel steht eine Kamera, sowie daneben eine Actionkamera. Der Mann und die Orgel sind gut ausgeleuchtet.

Warum die Goldberg-Variationen von Bach Erste Hilfe sein können

Konzerte vor den Fenstern der Stadt: Wenn es nach dem US-amerikanischen Organisten Cameron Carpenter geht, braucht es die Goldberg-Variation von Johann Sebastian Bach, eine Orgel und einen LKW, um in Zeiten von Corona und Restriktionen seiner Wahlheimat Berlin etwas zurückzugeben. Der Stadt, in der er seit 2010 lebt und die ihm nach seinen Worten ermöglicht hat, seinen eigenen künstlerischen Weg zu gehen und diesen Weg als Chance zu sehen.

Über dreißig spontan initiierte Konzerte hat Cameron Carpenter mit Hilfe der Bürgerstiftung Berlin in der letzten Woche gespielt. Meist vor SeniorInnenheimen, wie dem Johannesstift oder der Agaplesion Bethanien Diakonie, um gerade den älteren BerlinerInnnen und damit den am härtesten von den Einschränkungen Betroffenen Lebensmut und Momente der Gemeinsamkeit zu schenken. Aber auch in Kiezen und Quartieren, wo viele Menschen in hohen Häusern leben, hat Cameron Carpenter mit seinen 25-minütigen Konzerten gastiert. So war er auch in Tegel Süd im Gewobag Quartier am Emstaler Platz zu Gast.

Als der Truck zur Mittagszeit anfährt, machen Bauerbeiter eine Pause und schauen, was da vor sich geht. Vorher holen sie sich beim Backshop am Platz Kaffee und einen Amerikaner. Eine Wildblumenwiese entsteht am Platz, die Samen sind gestreut, diverse Fahnen wehen von Balkonen. Sonnenschirme sind auch zu sehen und Tannenzapfen liegen auf der Wiese vor den Mehr-Geschossern.

Graues Hochhaus aus der Froschperspektive. Der Himmel ist leicht bewölkt.
Das Cameron Carpenter in Tegel Süd. Foto: Johannes Schneeweiss

Und dann fängt Cameron Carpenter auch schon an. Die Musik von Bach vibriert an den Hochhauswänden und die ersten Gardinen werden zur Seite geschoben. Kinder hören auf zu skateboarden, ältere Damen schauen am Fenster auf Kissen abgestützt zu, ein Paketbote bleibt vor dem geschlossenen „Wraps & Burger“-Geschäft stehen. Sie sind erstaunt. Eine Orgel gibt es nicht jeden Tag auf dem Emstaler Platz und klassische Open-Air-Konzerte gehören nicht zum Alltag.

Cameron Carpenter: Musik kann Unterstützung bedeuten

Dass Musik Unterstützung bedeuten kann, davon ist Cameron Carpenter überzeugt. Es war ihm ein Bedürfnis, seine Musik live für die Menschen zu spielen. Gerade bei klassischer Musik sei ihm das wichtig.

Mit seiner Orgel auf einem Truck zu spielen, war allerdings auch für ihn das erste Mal. Auf die Frage, warum er sich für die „Konzerte vor den Fenstern Stadt“ für Bachs Goldberg-Variationen entschieden habe, sagt er, dass die Komposition logisch und unregelmäßig zugleich sei. Eine Musik, die beruhigt und Vertrauen aufbauen kann. Egal, ob man Bach eine Stunde oder zehn Minuten hören würde, die Essenz sei in jeder Zeit da, meint Carpenter.

Mann mit kurzen Haaren, schwarzem T-Shirt und schwarzer Jacke, sowie einer silbernen Kette und Ohrring schaut angespannt nach auf den Boden. Links im Bild sieht man eine Reihe Lautsprecher. Im Hintergrund sieht man unscharf ein paar Menschen.
Cameron Carpenter bei seinem Bach-Konzert für die AnwoherInnen am Emstaler Platz in Tegel-Süd. Foto: Johannes Schneeweiss

Wie wichtig Musik gerade in solchen Krisenzeiten sein kann, hängt für Carpenter natürlich von jedem individuell ab: „In besonderen Zeiten kann Musik Vertrauen schaffen. Unterschiedliche Musik zu unterschiedlichen Zeiten für verschiedene Menschen. Aber Bach ist für mich die beste Wahl, wenn es darum gehen soll, dass Musik hilft. Eine Art Erste-Hilfe-Musik“, sagt er und ist schon wieder unterwegs zum nächsten Konzert.

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