Das Maskottchen "Lilo" von der Bewegung "Schön wie wir" nimmt auf einem Tausch-Markt einen alten Drucker in Empfang. Foto: Schön wie wir

Vermüllung: „Der öffentliche Raum geht uns alle an“

Neukölln gilt als der vermüllteste Bezirk Berlins. Max Mauracher und die Agentur „New Standards“ wollen das ändern – und können beachtliche Ergebnisse vorweisen. Welche Ansätze dabei geholfen haben, wie man Menschen für das Thema Müll sensibilisiert und was sich noch ändern muss? Das erklärt er im Interview.

Nein, der Ruf ist kein guter. Auf die Frage, wo in Berlin das Müllproblem am gravierendsten ist, lautet die Standardantwort „Neukölln“. Fakt ist allerdings auch: In kaum einem Bezirk wird mehr getan, um die Vermüllung in den Griff zu bekommen.

Einer der Vorkämpfer ist Maximilian Mauracher von der Kommunikations- und Strategieagentur „New Standards“. Seit 2021 betreut er die Bewegung „Schön wie wir“ des Bezirksamts Neukölln. Hier spricht er über Erfahrungen aus der Praxis, Erfolgsfaktoren und erste Ergebnisse.

Das Maskottchen "Lilo" von der Bewegung "Schön wie wir" entsorgt eine alte Stehlampe in einem Müllwagen der Berliner Stadtreinigung. Foto: Schön wie wir
Anpackerin: Das Maskottchen Lilo von der Bewegung „Schön wie wir“ entsorgt eine alte Stehlampe in einem Müllwagen der Berliner Stadtreinigung. Foto: Schön wie wir

Herr Mauracher, was ist die Idee hinter „Schön wie wir“?

Es geht darum, NeuköllnerInnen oder BerlinerIinnen, die sich in Neukölln aufhalten, für die Themen Nachhaltigkeit, Zero Waste und Vermüllung des öffentlichen Raumes zu sensibilisieren, Wege und Möglichkeiten aufzuzeigen, was man anders machen könnte, sie direkt anzusprechen und infrastrukturelle Verbesserungen anzubieten – zum Beispiel durch Tausch- und Sperrmüllmärkte, die es regelmäßig gibt. 

Was ist der Vorteil von Tausch- und Sperrmüllmärkten?

Wir sind zweimal im Monat in verschiedenen Kiezen. Da können Menschen aus der Nachbarschaft mit Sperrmüll hinkommen, die Berliner Stadtreinigung (BSR) ist für die Entsorgung vor Ort. Die Idee ist 2018 entstanden und mittlerweile von der BSR berlinweit ausgerollt worden. Das ist eine der Maßnahmen, die gut funktioniert – die ein Problem löst. Viele Leute haben kein Auto, dann landet der Sperrmüll auf der Straße. Wir leihen auch Lastenräder aus, damit Leute ihre Sache holen können.

Was macht „Schön wie wir“ noch?

Wir organisieren viele Veranstaltungen und Aktionen mit anderen Initiativen und Vereinen – zum Beispiel Aufräumtage, also Cleanups in der Nachbarschaft. Dazu gibt es Umwelt-, Nachhaltigkeits- oder auch Nachbarschaftsfeste, wo man die Gemeinschaft stärkt, damit das Verantwortungsbewusstsein für den öffentlichen Raum steigt. Dann geht’s auch zu einem gewissen Grad bis in den privaten Raum hinein mit Tipps für Zero Waste, für unverpacktes Einkaufen, für richtige Mülltrennung – alles sehr konzentriert auf das Thema Müll. Zudem wollen wir auch das Reparieren und Teilen anregen, also eine Art des alternativen Konsums.

„Mit unseren Veranstaltungen
wollen wir auch die Gemeinschaft stärken,
damit das Verantwortungsbewusstsein
für den öffentlichen Raum steigt.“

Max Mauracher

Es gibt viele Initiativen in Berlin, von den man nur selten etwas mitbekommt, weil Menschen in unterschiedlichen Blasen leben – und das nicht nur sprachlich. Wie erreicht und informiert man die Leute?

Das ist eine der größten Herausforderungen: Wie kommen wir über eine Bubble hinaus, die sich ohnehin schon für das Thema interessiert? Beim Tausch- und Sperrmüllmarkt hängen wir zum Beispiel zwei Wochen vorher im kompletten Umfeld Aushänge an die Türen, in Deutsch, und auch in anderen Sprachen. Wir arbeiten mit MultiplikatorInnen und Vereinen in Neukölln, die das Ganze in ihre Community spielen. Es gibt auch eine Kooperation mit der Neuköllner Begegnungsstätte und dem Quartiersmanagement vor Ort – dort existieren jeweils eigene Verbindungen, über die Aktionen und Events mit angekündigt werden können. Auch Wohnungsbaugesellschaften haben die Möglichkeit, MieterInnen ganz konkret anzusprechen.  

Aus Ihrer Erfahrung in der Praxis: Welche Maßnahmen funktionieren – und welche nicht?

Wir haben gesehen, dass Dinge, die zu eventhaft sind, keine langfristigen Effekte haben, weil sie infrastrukturell nichts ändern. Wenn ich eine Veranstaltung für vier Stunden am Nachmittag mache, erreiche ich die Leute, die zufällig da sind oder vorbeikommen, aber das war’s. Deshalb wollen wir permanenter denken. Wieder zum Thema Sperrmüll: Es gibt da bekannte Hotspots, häufig Ecken und Plätze, die nur eine geringe Aufenthaltsqualität haben und ganz schnell als Müllhalde dienen. Wenn wir das verhindern wollen, müssen wir die Aufenthaltsqualität dieser Orte verbessern, um zu vermeiden, dass Leute dort Müll abladen.

Also ein schöner Platz vermüllt nicht so schnell wie ein hässlicher?

Ja, Erfahrungen anderer Städte zeigen: Je mehr der öffentliche Raum tatsächlich von Menschen genutzt werden kann, desto eher habe ich das Bewusstsein ihn nicht zu vermüllen, weil ihn ja auch andere Menschen nutzen wollen.

Ein Mann beugt sich auf einem Tausch-Markt über einen Tisch, auf dem Gläser, Vasen und Kerzenständer stehen. Foto: Schön wie wir.
Auf Tausch- und Sperrmüllmärkten finden vorhandene Produkte neue BesitzerInnen – oder können direkt mit Hilfe der BSR entsorgt werden. Foto: Schön wie wir.

Können Sie messen, ob Maßnahmen funktionieren?

Es gibt zumindest recht gute Zahlen zu illegalen Sperrmüllablagerungen von der BSR. Da sieht man seit 2021 einen Abwärtstrend. Neukölln ist nicht mehr auf Rang eins der vermülltesten Bezirke, sondern auf Platz zwei hinter Friedrichshain-Kreuzberg. Das ist eine mengenmäßige Reduktion von 16 Prozent. Neben der Kampagne gibt es aber bestimmt noch andere Einflussfaktoren.

In vielen Umfragen gilt Neukölln weiter als dreckigster Bezirk Berlins.

Wir befragen immer wieder NeuköllnerInnen auf der Straße und testen auch die These: Nehmen Leute Neukölln aufgrund der Vergangenheit als vermüllter wahr, als es aktuell ist? Menschen, die schon seit zehn, 15 Jahren in Neukölln wohnen, sind tatsächlich der Meinung, dass es sich stark verbessert hat. Die gefühlte Wahrnehmung ist oft wesentlich schlechter. Es gibt aber durchaus einen Aufwärtstrend.

Lässt sich das Müllproblem vom Bezirk allein in den Griff bekommen?

Nein, der Bezirk kann nicht an allen Stellen gleichzeitig sein, deswegen braucht es Beteiligungen und Befragungen für BürgerInnen: Was habt ihr für Ideen und was könnte man hier bei euch direkt im Kiez machen? Wir brauchen diesen Austausch und müssen unterschiedliche Zielgruppen einbinden, weil wir sehen, dass es auch an der Identifikation mit Neukölln fehlt.

Was meinen Sie damit?

Das Zugehörigkeitsgefühl, dass das mein Zuhause ist. Für viele ist Neukölln nur eine Durchgangsstation im Leben. Da muss man diese Neukölln-Identität stärken, das Soziale, die Gruppenzugehörigkeit, und einfach klarer machen: Man ist Teil einer Gruppe, die den Raum gemeinschaftlich nutzt.

Wo setzt man da an?

Ein Knackpunkt ist das Image, das Neukölln hat – quasi eine self-fulfilling prophecy (deutsch: selbsterfüllende Prophezeiung, Anm. d. Red.). Je mehr Medien darüber berichten, wie vermüllt dieser angebliche Problembezirk ist, desto mehr wird sich dieses Bild zementieren. Wir müssen schauen: Wie können wir das Image drehen? Wie können wir Positivbeispiele zeigen, die es ja durchaus gibt?

„Man muss selbst aktiv werden.
Ich kann nicht erwarten,
dass sich immer nur andere
um das Problem kümmern.“

Max Mauracher

Mit wie vielen Leuten arbeiten Sie denn an den Gegenbeispielen?

Das sind zwei Personen in der Projektsteuerung und zwei KiezhausmeisterInnen, die im Bezirk unterwegs sind. Die sind bei Veranstaltungen unterwegs, sprechen mit Leuten, machen Cleanups mit Vereinen und Nachbarschaftsgruppen. Aktuell suchen wir uns pro Monat einen Kiez aus, in den wir gezielt reingehen. Es gibt viele Leute vor Ort, die interessiert und engagiert sind. Wir versuchen, Menschen zu empowern, Selbstwirksamkeit zu vermitteln. Der öffentliche Raum geht uns alle an!

Das klingt, als könnte man mit relativ wenig Menschen schon viel erreichen?

Auf jeden Fall.

Haben Sie Tipps für Menschen, die aufräumen wollen? Was kann man machen, um dem Thema Müll Herr zu werden – bei sich im eigenen Kiez?

Als einzelne Person kann ich mich organisieren, man kann mit NachbarInnen sprechen und direkt auf Leute zugehen, wenn man ein Problem sieht. Man muss selbst aktiv werden. Ich kann nicht erwarten, dass sich immer nur andere um das Problem kümmern. Das heißt nicht, dass ich alles allein machen muss. Man kann Verbündete finden, denen das auch ein Anliegen ist, und auch mal Dinge ans Bezirksamt oder die eigene Hausverwaltung melden. Nur, wenn man von einem Problem weiß, kann man es lösen.

Sie als Kommunikationsexperte: Wie spricht man Menschen auf das Einhalten von Regeln an?

Es kommt darauf an, wie man es verpackt. Dieser erhobene Fingerzeig – „Ich mache alles richtig und ihr nicht“ – ist schwierig. Man sollte das „Wir“ betonen, auf Augenhöhe kommunizieren, den Grund betonen, warum man etwas machen sollte. Die Handlungsaufforderung wird oft nicht verstanden, wenn nicht klar wird, was die Motivation oder die Konsequenz daraus ist. Wenn man eine positive Konsequenz für alle aufzeigt, dann ist das umso besser.

Das Maskottchen "Lilo" von der Bewegung "Schön wie wir" posiert auf einem Tauschmarkt vor ein paar Ständern, an denen Kleidung hängt. Foto: Schön wie wir
Schlaue Füchsin: Maskottchen Lilo weiß, dass sich auf den Tausch- und Sperrmüllmärkten tolle Fundstücke finden. Foto: Schön wie wir

Titelfoto: Schön wie wir

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