Stadtführung mit Homolulu: „Das queere Leben gehört einfach zu Berlin“ 15. Oktober 2025Lesedauer: 5 Min. Artikel anhören Player schließen So bunt kann Stadtgeschichte sein! „Homolulu Berlin“ gibt Einblicke ins Wirken prägender WegbereiterInnen der queeren Kultur. Über eine Tour, die die Vielfalt feiert – und auch Aha-Momente für die Gegenwart liefert. Es ist angenehm kühl, ein paar Sonnenstrahlen brechen durch die Wolken und das Schwule Museum ist noch geschlossen. Kein Problem, denn in diesem Fall geht es nicht darum, das Museum zu besuchen, sondern den Nollendorfkiez zu erkunden – und zwar aus queerer Perspektive. Das Schwule Museum bildet den Startpunkt der „Queere Held*innen DIY Audio Tour“, konzipiert von Rafael Nasemann, dem Mann hinter der Website „Homolulu Berlin“. Doch der Reihe nach. Jetzt Newsletter abonnieren und nichts mehr verpassen! E-Mail Ich stimme zu, dass die Gewobag mir per E-Mail den Newsletter zusendet und dabei die auf mich bezogenen Nutzungsstatistiken auswertet. Die Datenschutzerklärung habe ich gelesen. Meine Einwilligung kann ich jederzeit mit Wirkung für die Zukunft widerrufen. Abonnieren Queere Fahrradtour durch Berlin Die Geschichte von „Homolulu Berlin“ beginnt während der Corona-Pandemie. Als andere Menschen anfingen, Bananenbrot zu backen oder Stricken lernten, las Rafael Nasemann das Buch „Das andere Berlin“ von Robert Beachy. Darin hat er von den vielen queeren „firsts“ und deren Bezug zu Berlin erfahren: das erste Coming-out, die erste schwule Aktivistengruppe, die erste geschlechtsangleichende Operation – all das fand in Berlin statt. „Als geschichtsinteressierter, schwuler Mann aus Berlin war mir das zuvor überhaupt nicht bekannt. Das war mir fast peinlich“, erzählt Rafael. „Und dann kam mir die Idee: Man könnte daraus doch eigentlich eine geführte Tour machen.“ Aus dieser Idee ist ein langjähriges Projekt geworden, das TouristInnen und BerlinerInnen gleichermaßen begeistert. Jeden Monat bietet Rafael etwa drei bis vier Fahrradtouren an, auf Deutsch und auf Englisch. Mit seiner Gruppe radelt er durch Berlin und setzt ein Zeichen für Toleranz und Vielfalt – Werte, die auch der Gewobag wichtig sind. Gewobag-Gebäude mit queerer Geschichte Auch vier Gebäude der Gewobag sind Teil der Tour. Rafael gibt in online abrufbaren Audio-Beiträgen spannende Einblicke in die Historie dieser Schöneberger Gebäude und das queere Leben, das sich in den 1920er-Jahren in ihnen abgespielt hat. Zietenstraße 8: Hier lebte Audre Lorde im Jahr 1989. Sie war eine lesbische Schriftstellerin, Feministin und Aktivistin und gehört bis heute zu den bedeutenden afroamerikanischen Stimmen des 20. Jahrhunderts. Schwerinstraße 13: Der „Toppkeller“ war in den 1920er-Jahren ein zentraler Treffpunkt für lesbische Frauen, die sich sexuell ausleben wollen. Angefangen am Brandenburger Tor, macht er unter anderem Halt an der Russischen Botschaft, im Tiergarten, und im Nollendorfkiez. „Wir steuern dabei einige historische Lesben- und Schwulenbars an und werfen einen kleinen Blick auf die wilden, diversen und für die damalige Zeit unglaublich fortschrittlichen Orte“, sagt Rafael. Von Freiheit zur Verfolgung: Queeres Leben und der Nationalsozialismus Die damalige Zeit – damit meint Rafael die 1920er-Jahre. Berlin war schon früh ein queerer Hotspot. Bei seinen Fahrradtouren legt Rafael deshalb den Fokus auf die queere Geschichte zwischen 1850 und 1935. Daneben wird auch der Nationalsozialismus und seine Auswirkungen auf das queere Leben in der Hauptstadt thematisiert. Die queere Geschichte Berlins hat bei weitem nicht nur schöne Seiten. Rafael Nasemann thematisiert bei seinen Touren auch die Auswirkungen des Nationalsozialismus auf das queere Leben in Berlin. Bild: Rafael Nasemann „1931 war Berlin der liberalste Ort der Welt – mit großem Abstand. Doch in nur wenigen Jahren änderte sich alles. Alle queeren Orte wurden geschlossen, das Gesetz wurde verschärft und queere Menschen wurden in Konzentrationslagern interniert.“ Diese abrupte Wendung gibt Rafael zu denken: „Wir müssen diese Geschichte als Ansporn sehen und verstehen, dass es heute unsere Aufgabe ist, laut zu bleiben und die Geschichten weiterzuerzählen. Nur wer die Geschichte kennt, kann aus ihr lernen.“ DIY-Audio-Tour mit Fokus auf queere HeldInnen Mit seinen Fahrradtouren begeistert Rafael die Teilnehmenden. Gleichzeitig fällt ihm auf: Er erreicht damit vor allem die Menschen, die ohnehin schon aufgeschlossen sind für queere Themen. Eine Zielgruppe, die er gern erweitern möchte. „Ich dachte mir: Was wäre, wenn ich meine Tour-Orte mit QR-Codes versehe? Die Leute könnten dann vor Ort selbst etwas über die queere Geschichte erfahren, indem sie einen kurzen Audiobeitrag anhören – oder alternativ den Text dazu lesen.“ So entstand die „Queere Held*innen DIY Audio Tour“. Handy aus der Tasche holen, QR-Code scannen und Geschichte erleben – so einfach geht’s! Bild: Rafael Nasemann Sie bildet eine Alternative zur Fahrradtour und ist sehr barrierearm gestaltet. Das Einzige, was Interessierte tun müssen, um etwas über queere Geschichte zu erfahren, ist, einen QR-Code zu scannen. Schon öffnet sich die entsprechende Website, auf der ein von Rafael eingesprochener Audio-Beitrag abgespielt wird. An der ersten Station, dem Schwulen Museum, erfährt man so zum Beispiel spannende Hintergründe zu dieser queeren Institution. Inhaltlich legt Rafael mit der Audio-Tour den Fokus auf das, was queere WegbereiterInnen erreicht haben, denn für ihn ist wichtig, eine Balance zwischen Leid und Freude zu finden: „Natürlich gehören auch die schwierigen, schmerzhaften Kapitel wie die Zeit des Nationalsozialismus zur Tour. Aber ich möchte unbedingt auch die Erfolge zeigen – was Menschen erreicht haben, wo Fortschritte gemacht wurden.“ So erwähnt er beispielsweise Magnus Hirschfeld, dessen Arbeit als Sexualwissenschaftler bahnbrechend für die Gleichberechtigung Homosexueller war, und Karl Heinrich Urichs, der das erste Coming-Out der Weltgeschichte hatte und damit den Weg ebnete für kommende Generationen queerer Menschen. Potsdamer Straße 181: In den 1950er-Jahren lebte hier Lotte Hahm. Sie war eine prominente Aktivistin der ersten Lesbenbewegung in Berlin zur Zeit der Weimarer Republik. Bülowstraße 37: Der Damenclub „Violetta“ wurde von Lotte Hahm gegründet und war einer der wichtigsten queeren Treffpunkte Berlins. Berlin damals und heute: Was hat sich verändert? Wer durch den Nollendorfkiez streift, kommt am queeren Leben Berlins kaum vorbei – dafür sorgen nicht zuletzt die vielen Regenbogenflaggen, die Schöneberg zum wohl buntesten Stadtteil machen. Dabei stellt sich die Frage: Wie lebt die queere Community heute in Berlin – und wie haben sich ihre Räume verändert? Wie war Berlin früher? Und wie ist es heute? Rafael Nasemann erkundet die historische Entwicklung des queeren Lebens in Berlin. Bild: Rafael Nasemann „Interessanterweise gab es Ende der 1920er-Jahre in Berlin etwa 170 queere Cafés, Bars, Kneipen und andere Orte. Und ungefähr die Hälfte davon war speziell für Lesben. Heute dagegen findet man nur noch wenige Orte in Berlin, die explizit lesbenzentriert sind“, erzählt Rafael. Neben dieser Veränderung nimmt Rafael auch wahr, dass es neue Herausforderungen für queere Räume gibt. Herausforderungen für queere Menschen und Räume Die Zahl der Anschläge und Übergriffe nimmt zu – sowohl auf queere Menschen als auch auf queere Orte. Die Initiative MANEO gab im Mai 2025 bekannt, dass sie 2024 so viele Fälle queerfeindlicher Gewalt registrierte wie nie zuvor, etwa acht Prozent mehr als im Vorjahr. Im selben Monat wurde vor der Tipsy Bear Bar im Prenzlauer Berg eine Regenbogenflagge in Brand gesetzt. Um einen Einzelfall handelt es sich dabei keineswegs. Auch Rafael spricht von Anschlägen auf queere Orte: „Die Gedenktafel ‚Rosa Winkel‘ am Nollendorfplatz, die an die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen erinnert, wurde innerhalb der letzten zwei Jahre mehrfach mit Farbspray beschmiert. Solche Vorfälle sind leider Realität.“ Die Rote Schleife ist das weltweite Symbol der Solidarität mit HIV-Infizierten und an Aids Erkrankten. Bild: Saskia Balser Auch wirtschaftlich stehen viele BetreiberInnen queerer Orte vor Herausforderungen, selbst Kult-Institutionen stehen vor dem Aus. Das legendäre „SchwuZ“, der erste Schwulenclub West-Berlins, musste im Sommer Insolvenz anmelden. Gerade in Zeiten wie diesen sei es entscheidend, dass diese Räume erhalten blieben, sagt Rafael. Queere Menschen müssten in der Stadt sichtbar sein – und Räume haben, in denen sie geschützt sind. Mit seinen Touren will er einen Beitrag dazu leisten. Rafael verfolgt das Ziel, Menschen zu sensibilisieren und ihnen zu zeigen, „dass es ein vielfältiges queeres Leben in Berlin immer gegeben hat. Queere Geschichte und queeres Leben gehören zu Berlin“, sagt er. „Ich sehe darin eine Verpflichtung, das sichtbar zu machen.“ Dabei gibt er nicht nur Einblicke in die Vergangenheit, sondern zeigt auch, dass queere Geschichte mitten im Hier und Jetzt lebt – und dass es eine kollektive gesellschaftliche Verantwortung gibt, sie weiterzuschreiben. Titelbild: Rafael Nasemann
Gewobag-Gebäude mit queerer Geschichte Auch vier Gebäude der Gewobag sind Teil der Tour. Rafael gibt in online abrufbaren Audio-Beiträgen spannende Einblicke in die Historie dieser Schöneberger Gebäude und das queere Leben, das sich in den 1920er-Jahren in ihnen abgespielt hat.
Zietenstraße 8: Hier lebte Audre Lorde im Jahr 1989. Sie war eine lesbische Schriftstellerin, Feministin und Aktivistin und gehört bis heute zu den bedeutenden afroamerikanischen Stimmen des 20. Jahrhunderts.
Schwerinstraße 13: Der „Toppkeller“ war in den 1920er-Jahren ein zentraler Treffpunkt für lesbische Frauen, die sich sexuell ausleben wollen.
Potsdamer Straße 181: In den 1950er-Jahren lebte hier Lotte Hahm. Sie war eine prominente Aktivistin der ersten Lesbenbewegung in Berlin zur Zeit der Weimarer Republik.
Bülowstraße 37: Der Damenclub „Violetta“ wurde von Lotte Hahm gegründet und war einer der wichtigsten queeren Treffpunkte Berlins.
So cool war Wissenschaft noch nie! Ein Knall, ein Lachen, bunte Farbspritzer: Der neue, kostenlose Workshop „Mix it. Shake it. Spray it.“ im URBAN NATION Museum verbindet Kunst auf spielerische Weise mit Wissenschaft und produziert dabei einzigartige Streetart-Werke. Mitmachen lohnt sich!
Der neue WBS 220: Türöffner für Menschen mit mittlerem Einkommen Mit ihm haben rund 60 Prozent der BerlinerInnen die Chance auf eine geförderte Wohnung: Der neue WBS 220 richtet sich gezielt an Menschen mit mittlerem Einkommen – in manchen Fällen können sogar Gutverdiener profitieren. Wie? Die wichtigsten Infos auf einen Blick.