Eine Collage von verschiedenen Bildern. Zu sehen sind einige Kinder beziehungsweise Jugendliche, die direkt in die Kamera blicken und fröhlich lächeln.

„Soziales Miteinander ist die Basis“

Dr. Anne Schmedding ist Leiterin der Stiftungsprojekte bei der Stiftung Berliner Leben und setzt sich für mehr Kinder- und Jugendangebote ein. Im Interview spricht sie über die Probleme, denen junge BerlinerInnen im Alltag begegnen, und darüber, wie das neue Stiftungsprogramm gezielt helfen kann.

Das Programm Stadtraum!Plus ist im September 2021 zunächst in Schöneberg-Nord gestartet. Zum Auftakt gab es ein großes Quartiersfest mit diversen Angeboten wie Workshops, Live-Konzerten und Ausstellungen. Bis Juni 2022 werden unterschiedliche Aktionen mit mehr als 30 KooperationspartnerInnen im Quartier stattfinden. Mit den neuen Aktionen und Workshops werden über 350 Kinder und Jugendliche vor Ort erreicht.

Dr. Anne Schmedding schaut direkt lächeln in die Kamera. Sie trägt kurzes dunkelbraunes Haar und Ohrringe. Sie steht vor einer kargen Wand.
Dr. Anne Schmedding, Leiterin der Stiftungsprojekte bei der Stiftung Berliner Leben. Foto: Privat

Frau Schmedding, können Sie Stadtraum!Plus in drei Sätzen beschreiben?

Anne Schmedding: Stadtraum!Plus ist ein neues quartiersbezogenes Programm, das sich an den Bedürfnissen von Kindern und Jugendlichen orientiert, um deren individuelle Perspektiven, den Zusammenhalt und somit auch demokratische Prozesse vor Ort zu stärken. Einrichtungen, die mit Kindern und Jugendlichen arbeiten, können sich bei uns bewerben, um eine Förderung zu erhalten. Hierfür haben wir den Stadtraum!Plus-Fonds eingerichtet. Zusätzlich unterstützen wir mit eigenen Angeboten und Räumlichkeiten. Denn momentan sehen wir, dass die Nöte der Kinder und Jugendlichen aufgrund der aktuellen Situation zunehmen.

Woran liegt das?

Anne Schmedding: Psychische und physische Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen haben während der Corona-Pandemie eklatant zugenommen. Oftmals fehlt es zudem an einer Kontinuität bei den AnsprechpartnerInnen vor Ort, die die Kinder und Jugendlichen auch außerhalb von ihrem Zuhause betreuen, denn daheim mangelt es manchmal auch an Fürsorge.

Der Zusammenhalt im Quartier ist dafür eine zentrale Voraussetzung: Primär geht es nicht unbedingt um den schnellen Bildungserfolg in der Schule, sondern darum, dass die Kinder und Jugendlichen aufgefangen werden und soziales Miteinander erlernen. Hierzu wollen wir als Stiftung beitragen, indem wir Selbstwirksamkeit durch Kunst, Bildung, Sport und Integrationsaktionen vermitteln und die engagierten Personen unterstützen. Sie schaffen in ihrer tagtäglichen Arbeit mit Kindern und Jugendlichen Großes und wissen am besten, was vor Ort benötigt wird.

„Schöneberg-Nord steht wie die meisten Berliner Quartiere vor Herausforderungen, hat aber auch Stärken.“

DR. ANNE SCHMEDDING, INITIATORIN VON STADTRAUM!PLUS
Eine Gruppe von Kindern und einem Erwachsenen machen Grimassen. Sie schauen fast alle in die Kamera und sehen glücklich aus. Im Hintergrund ist ein Wohnblock.
Gemeinsam mit dem Künstler Thomas Bratzke hat eine Gruppe von bis zu zwölf Kindern aus der Spreewald-Grundschule eine Projektwoche absolviert. Die SchülerInnen haben eine visionäre Holzskulptur einer „Wohnmaschine“ gebaut, die auf dem Dach eines der beiden quer zum Hauptgebäude stehenden Wohnriegel des Pallasseums entstanden ist. Foto: Sebastian Kläbsch

Und warum haben Sie mit dem Projekt in Schöneberg-Nord begonnen?

Anne Schmedding: Schöneberg-Nord steht wie die meisten Berliner Quartiere vor Herausforderungen, hat aber auch Stärken. Wenn man Richtung Winterfeldplatz oder Regenbogenkiez schaut, gibt es hier meist gute Startbedingungen für Kinder und Jugendliche. Es gibt jedoch auch andere Areale, die durch Kriminalität, Drogen und Prostitution belastet sind.

Aus den zahlreichen Gesprächen mit den Engagierten vor Ort wissen wir, dass es vor allem an Räumlichkeiten, Angeboten und Projektfinanzierungen mangelt. Dementsprechend unterstützen wir auf allen drei Ebenen.

Wie läuft so ein Bewerbungsverfahren ab und wer kann sich überhaupt bewerben?

Anne Schmedding: Uns ist wichtig, dass das Bewerbungsverfahren so unkompliziert wie möglich ist. Bewerben können sich Einrichtungen vor Ort mit Projekten, die Kindern und Jugendlichen aus Schöneberg-Nord zugutekommen. Wir laden die Verantwortlichen persönlich ein, sich zu bewerben, und unterstützen durch unseren Fonds jedes Jahr 13 Projekte mit je 1.000 Euro.

Mit weiteren PartnerInnen setzen wir zusätzliche Angebote um oder bieten Räumlichkeiten an. Es begegnen uns viele kreative und nachhaltige Ideen, wie die Gründung einer Mädchen-Bandklasse oder ein Skaterpoint auf dem Winterfeldtplatz ab 2022. Kreative Impulse setzen zum Beispiel Workshops wie „Stadt Raum Helden“. Sie helfen den Beteiligten dabei, sich gezielt mit ihrer Umgebung auseinanderzusetzen und Wünsche für kindgerechte öffentliche Räume zu äußern.

„Gerade in der jetzigen pandemischen Lage ist Bewegung im Alltag ein zentrales Thema für Kinder und Jugendliche.“

DR. ANNE SCHMEDDING
Zwei Mädchen tragen medizinische Masken und zeige stolz ihr Modell. Sie schauen beide direkt in die Kamera, hinter ihnen hängen einige Zeichnungen an der Wand.
Im Projekt „Stadt Raum Helden“ haben sich 22 SchülerInnen einer vierten bzw. fünften Klasse aus Schöneberg kritisch mit ihrer alltäglichen Umgebung auseinandergesetzt. Foto: Sebastian Kläbsch

Einige der geförderten Projekte und Aktionen haben bereits im Herbst 2021 stattgefunden. Können Sie kurz zwei vorstellen?

Anne Schmedding: Ein Projekt, das mir persönlich sehr gefallen hat, heißt Freitags in Bewegung“ der Anna-Freud-Schule. Innerhalb der dort stattfindenden ErzieherInnenausbildung wird ein Modul angeboten, in dem die angehenden ErzieherInnen Bewegungsformen kennenlernen, die gut in den Schulalltag integriert werden können. Gerade in der jetzigen pandemischen Lage ist Bewegung im Alltag ein zentrales Thema für Kinder und Jugendliche. Die angehenden ErzieherInnen reichen ihr Wissen wiederum in ihrem zukünftigen Berufsalltag weiter.

Ebenfalls spannend finde ich die Arbeit der Filmemacherin Sofia Camargo, die im Katzlerkiez aktiv ist und leider auch zunehmende Gewalt von Kindern gegen Kinder auf Spielplätzen beobachtet. Um dagegen vorzugehen, haben sie und einige Kinder einen Tag genutzt, um eindringliche Botschaften, wie die Kinderrechte im Graffitistil, auf die Spielplatzflächen zu schreiben. Hierbei konnten die Kinder ein Bewusstsein dafür entwickeln, dass das, was ihnen passiert ist, nicht erlaubt ist und nicht sein darf. Sofia Camargo hat diese partizipative Aktion auch in einem Film verarbeitet, der dann in unterschiedlichen Einrichtungen vor Ort gezeigt wird.

Welche Vorteile bringt Stadtraum!Plus den teilnehmenden Einrichtungen neben der finanziellen Förderung?

Anne Schmedding: Die Struktur von Stadtraum!Plus hat sich vor allem in den Gesprächen mit den Verantwortlichen vor Ort entwickelt. Wir haben drei Hauptbedarfe identifiziert: Finanzierung, zusätzliche Angebote und Räume.

So bieten wir neben der Finanzierung durch den Fonds einige unserer Räumlichkeiten in der Bülowstraße für ausgesuchte Projekte an. Zusätzlich bieten wir mit dem URBAN NATION Museum, dem KünstlerstipendiatInnenprogramm Fresh A.I.R. und unseren Förderprojekten zahlreiche Aktionen wie Graffitiworkshops, Schnupperkurse im Boxen oder auch Kunstworkshops an. Diese werden von Schulen und Kitas ebenso wie von Jugendfreizeittreffs oder Nachbarschaftszentren in Schöneberg-Nord gerne angenommen.

„Zuhören und Fragenstellen sind enorm wichtig.“

Dr. Anne Schmegging
Fünf Mädchen in einem Proberaum. Sie haben alle Instrumente in der Hand und lächeln breit in die Kamera. Alle springen.
Girl-Power: Die neu gegründete Mädchenband probt ihre ersten Songs. Foto: Karolina Burdyk

Welche Erfahrungen konnte die Stiftung Berliner Leben als Mittelgeberin mit Stadtraum!Plus bereits sammeln? Gibt es Learnings?

Anne Schmedding: Wir haben durch die direkten Kontakte mit den AkteurInnen eine steile Lernkurve erzielt. Insbesondere Zuhören und Fragenstellen sind enorm wichtig, wenn wir verstehen wollen, welche Bedarfe vorliegen. Dabei haben wir uns auch eng mit dem Bezirksamt und der Stadtteilkoordinatorin ausgetauscht.

Oftmals steckt die Tücke im Detail. Da helfen wir schon mal mit Lampen oder Tischen aus, damit ein Projekt stattfinden kann. Dies klingt banal, aber manchmal hängt es an solchen Kleinigkeiten.

Zentral sind Kooperationen, in denen die Verantwortlichen ihre Möglichkeiten mit denen der anderen verbinden. So sind wir zum Beispiel momentan mit dem Berufsausbildungszentrum Lette Verein im Gespräch, gemeinsame Berufsorientierungsworkshops im Rahmen von Stadtraum!Plus zu entwickeln.

Weiterhin haben wir Stadtraum!Plus mehrfach beim Netzwerk „Stiftungen und Bildung“ vorgestellt und gemeinsam mit dem Bundesverband der Wohnungswirtschaft den Arbeitskreis „Stiftungen in der Wohnungswirtschaft“ gegründet. Gerade in der Entwicklungsphase waren das wichtige Netzwerke des Austauschs und der Inspiration.

Eine Gruppe Jugendlicher schauen direkt in die Kamera. Sie wirken alle sehr glücklich und versammeln sich um einen Pappkarton mit der Aufschrift "Berliner Leben".
Im Projekt „Freitags in Bewegung“ entwickeln angehende ErzieherInnen Trainingsmethoden für Grundschulkinder, damit diese ihren Bewegungs- und Lebensraum spielerisch erforschen können. Foto: Karolina Burdyk

Wie wird es mit Stadtraum!Plus weitergehen?

Anne Schmedding: Das Wichtigste ist – und das ist übrigens eine Erkenntnis, die wir auch aus Gesprächen mit anderen Stiftungen gewonnen haben –, dass wir in Schöneberg-Nord präsent bleiben und Partnerschaften weiterhin nachhaltig entwickeln, was letztendlich auch der Qualität zugutekommt.

Ab Sommer 2023 möchten wir gern in ein weiteres Gewobag-Quartier gehen und sind hier im Austausch darüber, welches sich anbietet. Außerdem planen wir gemeinsam mit der Gewobag ein kleines Partizipationsprojekt im Rahmen der Sanierungsmaßnahmen in dem Quartier Ringslebenstraße. Ein weiterer Punkt ist außerdem die Integration von ehrenamtlich Engagierten aller Generationen in das Programm Stadtraum!Plus.

Wir bedanken uns für das Gespräch!

Die Stiftung Berliner Leben

Stadtraum!Plus ist ein Programm der Stiftung Berliner Leben – eine Stiftung der Gewobag.

Sie ist stark in den Quartieren der Stadt verwurzelt und übernimmt Verantwortung, indem sie sich langfristig, nachhaltig und strategisch für lebenswerte Quartiere einsetzt.

Die Stiftung Berliner Leben fördert die Potenziale von Kindern und Jugendlichen und trägt so zu sozialer Teilhabe und Stadtentwicklung bei. Mit ihren innovativen Bildungs- und Kulturprojekten unterstützt und vernetzt sie andere Organisationen und Initiativen nachhaltig, die gemeinsam zum Engagement in der Stadt beitragen wollen.

Weitere Informationen

Möchten Sie für Stadtraum!Plus spenden und nachhaltige Aktionen für Kinder und Jugendliche in Schöneberg-Nord unterstützen? Weitere Informationen.

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