Neue Anlaufstelle im Quartier – und ein Beispiel für Berlin

Das Erfolgskonzept wächst: Mit der Eröffnung der dritten Offenen Familienwohnung in Spandau erhält das Quartier an der Heerstraße ein neues Angebot für Kinder, Familien und Nachbarschaft. Warum das Modellprojekt zum Vorbild für andere Stadtteile taugt.

Die Augen strahlen fast um die Wette. „Ich habe schon einen Ostereier-Halter gebastelt und jetzt gerade male ich für Mama ein Herz aus Pappe an“, erzählt die stolze Eileen (10), die an der nagelneuen Arbeitsfläche direkt hinter einem großen Eckfenster sitzt. Mutter Bianca zeigt sich bei der Eröffnung der Offenen Familienwohnung in der Spandauer Heerstraße ähnlich begeistert. „Als wir gelesen haben, dass es hier eine neue Offene Familienwohnung geben wird, war ich total glücklich“, sagt sie. „Das ist so, als wäre ein Wunsch erfüllt worden.“

Tatsächlich wohnt ja jedem Anfang ein gewisser Zauber inne, ein spezieller Mix aus Aufbruchsstimmung, Tatendrang und Euphorie. Am Montagnachmittag (13. März 2023) in Spandau ist diese Atmosphäre allgegenwärtig – sei es bei den ersten kleinen und großen BesucherInnen, den BetreiberInnnen oder UnterstützerInnen. Sie alle wissen: Eine Anlaufstelle wie die Offene Familienwohnung wird dringend gebraucht. Hier, aber auch in vielen anderen Teilen Berlins, doch dazu später mehr.  

Mädchen an einem Basteltisch schreibt auf ein roten Papierherz und blickt in die Kamera
Eileen freut sich über das neue Angebot im Quartier. Die Offene Familienwohnung ist nur wenige Eingänge von ihrem Zuhause entfernt. Foto: Florian Pohl/City-Press GmbH

Im Hochparterre der Heerstraße 404 füllen sich die drei frisch renovierten Zimmer am Montag schnell mit Leben. Kinder können dort spielen oder in Ruhe ihre Hausaufgaben machen; Eltern haben die Gelegenheit, soziale Beratung in Anspruch zu nehmen oder sich bei einer Tasse Kaffee auszutauschen.

Zur Eröffnung prangt ein einladender „Herzlich Willkommen“-Schriftzug neben der Eingangstür. Wer hindurchgeht, findet an einem Esstisch gesunde Snacks, in der Bastelecke bunte Stifte, in den Regalen etliche Spiele und in der Wohnung vor allem: jede Menge Herzlichkeit. 

Offene Ohren und viel Flexibilität

Die Erfahrungen aus den bereits bestehenden Offenen Familienwohnungen im Kraepelinweg (Falkenhagener Feld) und am Blasewitzer Ring (Heerstraße Nord) haben die MacherInnen der casablanca gGmbH und ihrer PartnerInnen in ihrem Tun nur bestärkt. „Das Konzept funktioniert“, weiß Teamleitern Dorthe Kreckel. Eine Erkenntnis, die auch auf politischer Ebene registriert wird.

„Wir haben jetzt einen weiteren Standort für wirklich gute, niedrigschwellige, präventive Arbeit mit Kindern, Jugendlichen und Familien, die dem Quartier hilft“, sagt Bezirksstadtrat Oliver Gellert. Wie genau die Einrichtung das tut? Schon allein durch die geschützte Räumlichkeit, und nicht zuletzt durch den offenen, flexiblen Ansatz, der ohne Anmeldungen und starre Zeitvorgaben auskommt.

„Wer zu uns kommt, entscheidet selbst, was für ein Angebot er oder sie nutzen möchte“, erklärt Teamleiterin Kreckel, „dadurch finden die Menschen genau das, was sie gerade brauchen oder wollen.“

In der Praxis heißt das: Am Nachmittag „gehört“ die Wohnung quasi den Kindern, damit sie sich frei entfalten und soziales Miteinander lernen können. Mia (7), die das Konzept von den anderen Standorten kennt, spielt dann gern „Kroko Doc“ oder malt, und nicht selten entstehen neue Kontakte.

„Ich bin guter Hoffnung,
dass der Rest der Stadt
aus diesem guten Beispiel lernt.“

Bezirksstadtrat Oliver Gellert

„Über die andere Offene Familienwohnung habe ich neue Freunde kennengelernt, mit denen ich mich danach oft getroffen habe“, berichtet zum Beispiel Eileen. Nicht zu vergessen: Bei den BetreuerInnen vor Ort finden die Kinder stets ein offenes Ohr.

Gewobag stellt Wohnung bereit

Selbiges gilt für Erwachsene. Viele erhoffen sich zunächst unkomplizierte Hilfe bei bürokratischen Fragen, allein schon wegen sprachlicher Hürden. Meist nur der Anfang, denn im Zuge der Unterstützung entsteht nach und nach eine Vertrauensbasis. „Je länger die Beziehung zu einzelnen Personen besteht, desto eher landet man bei Themen, die man sonst vielleicht nur mit Familie und Freunden bespricht“, sagt Dorthe Kreckel. 

Einer der größten Trümpfe des Modells ist die intensive Vernetzung mit anderen AkteurInnen. Eine Qualität, durch die die Menschen über die Offene Familienwohnung an andere Einrichtungen und Angebote weitervermittelt werden können. Kreckel betont: „Ein solches Konzept ist nur gemeinsam umsetzbar.“

vier Frauen und ein Mann auf einem Gruppenbild blicken in die Kamera
Nina Sykora, Mitarbeiterin der casablanca gGmbH, Gewobag-Vorstandsmitglied Snezana Michaelis, Bezirksstadtrat Oliver Gellert, Heidemarie Depil, Geschäftsführerin der casablanca gGmbH und casablanca-Mitarbeiterin Kerstin Dierke-Kamkar (v.l.n.r.). Foto: Florian Pohl/City-Press

Ein Teil dieses Netzwerks ist die Gewobag, die nach 2016 und 2019 zum dritten Mal eine Wohnung zur Verfügung gestellt hat. „Wir haben die einfachste Aufgabe, weil es ‚nur‘ darum geht, Räume bereitzustellen“, sagt Vorstandsmitglied Snezana Michaelis. „Weitaus aufwändiger ist die Frage der Finanzierung.“ Ein sensibler Punkt.

Bislang müssen sich die Offenen Familienwohnung über Projektfinanzierungen tragen, also Jahr für Jahr um Gelder kämpfen. Ein Zustand, der bald der Vergangenheit angehören könnte, denn der Erfolg des Modells hat sich herumgesprochen.

Offene Familienwohnung als Mittel gegen Jugend-Gewalt

Nachdem infolge der Berliner Silvester-Krawalle ein „Gipfel gegen Jugendgewalt“ stattfand, wurden im dazugehörigen Ergebnispapier auch die Offenen Familienwohnungen hervorgehoben – als Vorbild für ähnliche Stadtrand- und Großraumsiedlungen wie in Spandau.

Casablanca-Geschäftsführerin Heidemarie Depil registriert diese Bewertung mit großer Freude: „Offensichtlich ist es gelungen, aus dem Konzept eine kleine Marke zu machen.“

Mädchen an einem Basteltisch mit bunten Stiften hält einen buntbemalten, herzförmigen Anhänger ins Bild
Mia malt und bastelt gern. Die Offene Familienwohnung in der Heerstraße 404 will sie künftig häufiger besuchen. Foto: Florian Pohl/City-Press GmbH

Geht es nach ihr und Bezirksstadtrat Oliver Gellert, zählt die Eröffnung der dritten Offenen Familienwohnung in Spandau noch zum Anfang eines größeren Ganzen. „Damit gehen wir mustergültig in Berlin voran“, sagt der Politiker, „und ich bin guter Hoffnung, dass der Rest der Stadt aus diesem guten Beispiel lernt.“ Auch Snezana Michaelis hat die Zukunft bereits im Blick und „verschiedene andere Quartiere im Kopf, denen einen Offene Familienwohnung guttun würde“.

Ob und wann sich die BerlinerInnen über weitere Standorte freuen dürfen? Das wird sich zeigen. Eine Entscheidung ist derweil längst gefallen, nämlich in der Heerstraße 404. „Ich“, sagt die kleine Mia, „komme jetzt häufiger hierher.“

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