Drohnenaufnahme: Ein blau-weißes Hochhaus, an dem ein buntes, 50 Meter hohes Wandbild prangt. Foto: Jennifer Sanchez

Große Kunst in Staaken – und eine Liebeserklärung ans Quartier

452 AnwohnerInnen waren beteiligt: Durch ein gigantisches Wandbild hat das Gewobag-Quartier Heerstraße Nord einen neuen Bezugspunkt bekommen. Ähnlich beeindruckend wie das Kunstwerk selbst ist die Geschichte seiner Entstehung.

Eine Frau blinzelt in die Sonne, an der einen Hand ein Kind, das Zuckerwatte isst, hinter sich ein Straßenfest. Mit der anderen Hand schützt sie die Augen, um das Kunstwerk genauer anzuschauen. Das 50 Meter hohe Hauswandbild am Magistratsweg 10 zaubert ihr ein Lächeln ins Gesicht – so wie vielen AnwohnerInnen.

Das neue Fassadengemälde im Gewobag-Quartier Heerstraße Nord ist weithin zu sehen, sogar über Spandau hinaus. Manche der BetrachterInnen sagen, man könne es auch aus den Zügen erblicken, die aus und nach Berlin fahren. Eine Visitenkarte für einen ganzen Kiez quasi, und zugleich von einem ganzen Kiez.

Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von YouTube. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf die Schaltfläche unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.

Mehr Informationen

452 Menschen wirken mit

Was es mit diesem gigantischen Projekt auf sich hat? Am Bild „Love Letters in the City“ der Künstlerin Jumu Monster haben sich insgesamt 452 Personen beteiligt. Entsprechend groß sind der Stolz und der Andrang, als das monumentale Wandbild am 19. September offiziell vorgestellt wird. 

An jenem sonnigen Freitagnachmittag ist die gesamte Großsiedlung zu einem bunten Quartiersfest eingeladen. Familien mit Kinderwagen schlendern in Staaken zwischen Partyzelten und Infoständen der Gewobag, der Stiftung Berliner Leben und über 20 PartnerInnen umher, Bässe mischen sich mit Kinderlachen und dem Zischen von Sprühdosen. Und klar: Natürlich schauen alle hoch auf das große Gemälde am Magistratsweg 10, schließlich ist das Gerüst, das den Blick während der Produktion noch versperrte, inzwischen verschwunden.  

Die Künstlerin, gekleidet so bunt wie ihr Bild, begrüßt Anne Schmedding von der Gewobag-Stiftung Berliner Leben mit einer Umarmung. „Wir wollten Orte sichtbar machen, die hier Bedeutung haben“, sagt Schmedding, schließlich stärke Kunst im Stadtraum die Identität. „Wenn Menschen sich wiederfinden, entsteht ein Bezug zum Wohnort.“

Das sieht auch Jumu Monster so, die international anerkannte Künstlerin, die das Bild zwar gemalt hat, aber selbst sagt: „Es ist schön zu sehen, wie viele Einflüsse der Menschen darin sichtbar sind.“ Wer genau hinsieht, erkennt markante Orte aus dem Quartier: den Hahneberg, den Planetenspielplatz und einen Bolzplatz, daneben zwei Frauen, die sich umarmen oder Regenbögen, die Vielfalt symbolisieren.

Ein Kunstwerk als Spiegel des Quartiers

Dass das großformatige Werk so nah am Alltag entstand, war Programm. „Nur so wird aus einem schönen Bild ein Spiegel des Quartiers“, sagt Schmedding. Die Entscheidung zum partizipativen Ansatz war bewusst gewählt: Die Stimmen der Nachbarschaft wurden aktiv in den Prozess einbezogen, sei es durch Pop‑up‑Stände mit Bodenkarte, auf der Sticker beschriftet werden konnten, digitale Beteiligung oder Schulworkshops.

Einer der Bausteine ist ein Wandbild an der Maulbeerallee 31, das Jumu Monster im Mai mit Drittklässlern der Christian‑Morgenstern‑Grundschule gestaltete. Diese sogenannte Community Wall war Vorübung und Vorlage zugleich. Kinder in weißen Kitteln füllten dort farbige Flächen einer Hauswand, lachten viel, arbeiteten konzentriert im Team und verließen den Workshop mit dem Gefühl, hier etwas Bleibendes geschaffen zu haben.

Die neunjährigen Mary etwa hatte bei der Aktion „viel Spaß“, sie habe so etwas noch nie zuvor gemacht und überlege, mit Kunst weiterzumachen. Am meisten gefiel ihr der Tiger an der Wand. „Ich bin sehr stolz und freue mich darauf, es meiner Familie und Freunden zu zeigen.“ Auch Jumu Monster nahm positive Erfahrungen mit: „Die Kinder waren erst laut, dann plötzlich ganz ruhig und sehr fokussiert. Viele sagen: Das will ich öfter machen.“ Statements, die zeigen: Die Wirkung der Community Wall reicht weit über die Wandgestaltung hinaus.

Gemeinschaft wird sicherbar gemacht

Auch beim Quartiersfest brachten sich die Kinder aus dem Kiez ein: Schüler der Grundschule am Birkenhain führten einen tänzerischen Hip-Hop-Battle auf, für den sie ein halbes Jahr geprobt hatten. Neben vielen kleinen und großen BesucherInnen waren auch VertreterInnen aus der Wohnungsbranche und Politik zur Einweihung des Murals erschienen – eine offizielle Würdigung.

„Es ist eines der größten partizipativen Street-Art-Projekte in Berlin“, lobte Gewobag-Vorstandsmitglied Malte Bädelt. „Das zeigt, wie vielfältig das Quartier ist, wie viele Menschen sich hier wohlfühlen.“ Stephan Machulik, Staatssekretär für Wohnen und Mieterschutz, sah es ähnlich: „Alle wollen zeigen, dass das Quartier Heerstraße Nord besonders lebenswert ist.“ Man wolle es weiterentwickeln, noch grüner und bunter machen.

Spandaus Bezirksbürgermeister Frank Bewig war ebenfalls erschienen und erklärte spontan: „Ich finde es sehr gelungen, ein Abbild des Quartiers, wo viele Kulturen friedlich zusammenleben. Ein Bürgermeister freut sich, wenn es in Quartieren lebendig zugeht und Menschen sich wohlfühlen“.

Auch das Quartiersfest begeistert

Ihre Reden folgen dem roten Faden des Tages: mehr Teilhabe, Sichtbarkeit und städtische Identität. Die Botschaft schien klar: Hier wird nicht bloß Farbe auf eine Fassade gestrichen, sondern Gemeinschaft sichtbar gemacht. Ein positives Signal für einen Kiez, in dem es vielfältige Herausforderungen gibt.

Die Stimmung auf dem Fest war friedlich, feierlich – und modern. Hip‑Hop‑Battles, ein Boxring mit Probetraining, Live‑Graffiti‑Künstler wie VIDAM und DXTR sprühten vor Zuschauern an Wände. Künstlerin Jumu Monster freute sich über ihr Werk: „Es hat richtig Spaß gemacht“, sagt sie, trotz der Arbeit auf 50 Metern. „Die Höhe war eine neue Herausforderung, aber das Team war großartig.“

Großprojekt mit bleibender Wirkung

Die Wand ist eine von etwa 120 Murals in Berlin, die die Stiftung Berliner Leben gemeinsam mit dem URBAN NATION Museum sowie lokalen und internationalen Künstlerinnen und Künstlern geschaffen hat. Die aktuelle Ausstellung „Love Letters to the City“ zeigt Werke von 50 Street Artists, die sich mit urbanen Lebensräumen auseinander gesetzt haben – so wie Jumu Monster.

Mehr zu „Love Letters to the City“

Die Entstehung des Murals war technisch anspruchsvoll: Gerüstlogistik, Farbauftrag auf riesiger Fläche und die Komposition zahlreicher Beiträge, die zu einer Bildsprache verschmelzen sollten. Das Ergebnis wirkt jedoch stimmig und nahbar: Ein Junge mit Fußball, ein älterer Mann auf dem Balkon, ein Mädchen mit Roller – kleine Szenen, die zusammen ein Panorama des Staakener Alltags ergeben. „Es soll den Menschen ein anderes Selbstwertgefühl geben, Stolz auf ihren Kiez“, sagt Linda Enghusen, Quartierskoordinatorin der Gewobag. „Dass so viele Leute mitgemacht haben, zeigt, dass die Menschen hier gesehen werden wollen.“

Ein Blickfang, der Identifikation schafft

Viele AnwohnerInnen loben, das Wandbild wirke, als sei es immer dagewesen. Ein Zeichen, wie gut es sich in das Quartier fügt. Armin und Sarah, ein junges Paar mit Kinderwagen, sagen: „Das macht einen Kiez aus, so ein Wandgemälde, bunt, wild, Kunst, wie es sie in Kreuzberg gibt.“

Auch Simone ist mit Kind unterwegs – die eingangs beschriebene Frau. „Das Fest wirkt sehr familiär und freundlich, gerade das Angebot für Kinder“, sagt die Anwohnerin, die das Bild zu diesem Zeitpunkt noch nicht gesehen hat. Für sie steht fest: „Farben und Bilder werten die Optik der Gegend auf.“ Dann dreht sie sich um, sieht das Mural und lächelt. So wie viele Menschen aus dem Quartier Heerstraße Nord, die sich hier einen Leuchtturm geschaffen haben.

Titelfoto: Jennifer Sanchez

Das könnte Sie auch interessieren: