An der Spree werden Möwen gefüttert. Im Hintergrund sind Häsuer in karge Bäume.

Wildtiere in Berlin – bitte nicht füttern!

Auf Berliner Straßen tummeln sich nicht nur Nachteulen und Partylöwen – auch immer mehr echte Wildtiere fühlen sich in den Parks und Wohnanlagen der Stadt heimisch. Die Nahrungssuche sollte man Kaninchen, Fuchs, Waschbär und Co. allerdings selbst überlassen.

Warum gibt es so viele Wildtiere in Berlin?

Die wachsende Landwirtschaft ­lässt die Areale, in denen Wildtiere sich wohlfühlen, stetig schrumpfen. Monokulturen, begradigte Wasserläufe, der Einsatz von Pestiziden und Insektiziden – all das führt dazu, dass sich die Lebensräume von Fuchs, Feldhase oder Biber verschieben und immer weiter in die Stadt hineinragen.

Das Leben in Berlin hat viele Vorteile für die tierischen Gäste: Parks, Friedhöfe oder Wohnanlagen bieten oft mehr Wildnis als landwirtschaftlich geprägte Gegenden im Brandenburger Umland – und mehr Sicherheit, weil die Tiere in diesen „befriedeten Gebieten“ nicht bejagt werden dürfen. Die Winter in der Stadt sind milder, durch die dichte Bebauung und die vielen Wärmequellen liegen die Temperaturen höher als in der freien Wildbahn.

Und: Es gibt reichlich Futter. Beete, Rasenflächen, Komposthaufen und Mülltonnen bieten für Wildtiere ein üppiges Büffet.

Ein Eichhörnchen sitzt auf einem Baumstamm und frisst eine Nuss. Im Hintergrund ist ein Hochhaus zu sehen.
Ein Eichhörnchen im Volkspark Friedrichshain hat eine Nuss ergattert. TierschützerInnen raten aber davon ab, Erdnüsse an Eichhörnchen zu verfüttern. Besser: Sonnenblumenkerne, Kastanien, Walnüsse und Haselnüsse. Foto: Johannes Schneeweiß

Darf ich Wildtiere in Berlin füttern?

Das Füttern von „bejagbaren Tieren“ wie Waschbären oder Füchsen ist untersagt und kann mit einem Bußgeld von bis zu 5.000 Euro geahndet werden. Das Füttern von Tauben ist, anders als in vielen anderen Städten, in Berlin nicht verboten – kann aber als Ordnungswidrigkeit geahndet werden, wenn das Ausstreuen von Futter als Verschmutzung des öffentlichen Raumes gewertet wird.

In den Wohnanlagen der Gewobag ist das Füttern von wild lebenden Tieren wie Tauben oder streunenden Katzen untersagt. Der Reflex, aus Tierliebe helfen zu wollen, ist nachvollziehbar – doch auch Naturschutzverbände raten strikt davon ab, Wildtiere mit Nahrung zu versorgen. Warum?

Überangebot führt zu Überpopulation

Dass aus einer kleinen Gruppe possierlicher Tierchen ein Problem für einen ganzen Kontinent erwachsen kann, zeigt das Beispiel Australien: 24 europäische Wildkaninchen, die ein englischer Farmer 1859 als Jagdwild in Victoria aussetzte, vermehrten sich so rasant, dass ihre Spezies Ende des 19. Jahrhunderts bereits den gesamten Kontinent besiedelte. Zwischen 1901 und 1908 wurde ein vermeintlich „kaninchensicherer“ Zaun, der „Rabbit-Proof Fence“, errichtet, mit einer Gesamtlänge von fast 3.300 Kilometern. Er sollte verhindern, dass sich die Tiere auch in den landwirtschaftlich geprägten Gebieten im Westen Australiens ausbreiten. Doch das Projekt brachte nicht den gewünschten Erfolg – ebenso wenig wie die zwei absichtlich gestreuten Kaninchen-Epidemien, die in den 50er- und 90er-Jahren hunderte Millionen von Wildkaninchen dahinrafften.

Die Effekte waren von kurzer Dauer: Bis heute verwüsten die Kaninchenhorden australisches Weideland und verdrängen heimische Arten. Zu gut sind die Lebensbedingungen für die vermehrungsfreudigen Tiere: Die riesigen Weiden und Felder sorgen für üppige Verpflegung, und der warme Winter ermöglicht eine verlängerte Fortpflanzungszeit.

Ein kleines Kaninchen sitzt auf einer Wiese. Im Hintergrund ist ein Häuserensemble zu sehen.
Die Überpopulation der „Siedlungskaninchen“ der Paul-Hertz-Siedlung hat einen negativen Einfluss auf die Artenvielfalt von anderen Tieren und Pflanzen. Foto: Johannes Schneeweiß

Auch in Berlin fühlen sich Kaninchen wohl. Einzig die ebenfalls verbreiteten Stadtfüchse, der Straßenverkehr, Marder und Krankheiten halten die Population in Schach. An Futterquellen aber mangelt es nicht. Bei einem Überangebot an Fressen droht auch eine Überpopulation.

Die wiederum verdrängt, wie im Fall Australiens, andere Arten und schadet der Fauna – etwa in der Paul-Hertz-Siedlung in Charlottenburg-Nord. Dort funktioniert die Gewobag im Pilotprojekt „Städtisch Grün“ in Kooperation mit der Stiftung Naturschutz Berlin ausgewählte Grünflächen in Blumenwiesen um und erhöht damit die Artenvielfalt von Tieren und Pflanzen. Dass dort davon bislang wenig zu sehen ist, liegt auch an den Kaninchen vor Ort, deren unterirdische Bauten zu Schäden an den Pflanzen führen. Das Zufüttern durch Menschen ist also nicht nur unnötig, sondern auch gefährlich – das gilt für Kaninchen wie auch für Ratten, Füchse, Waschbären, Wildschweine und Co.

Keine Futternäpfe in Bodennähe aufstellen

Wer meint, einem Eichhörnchen im Winter per Fütterung beistehen zu müssen, der oder die versorgt vielleicht ungewollt andere Gäste mit. „Man kann nicht selektieren“, sagt Claudia Harnisch vom Naturschutzbund Berlin (NABU). „Das bedeutet für eine Fütterung innerhalb eines Wohngebietes: Es kann vorkommen, dass auch eine Ratte oder ein Fuchs am Futternapf auftaucht.“

Näpfe für Haustiere, Igel, streunende Katzen oder andere Lieblinge sollten deshalb nie in Wohnanlagen, auf Terrassen oder niedrigen Balkons deponiert werden. Auch Reste vom Picknick oder der Grillparty in Park oder Innenhof gehören beseitigt. Mülltonnen müssen stets verschlossen und Komposthaufen für Wildtiere unzugänglich sein.

Wildtiere verlieren ihre natürliche Scheu

Füchse sind so schlau, wie die Märchen es ihnen nachsagen: Werden sie von einem Menschen gefüttert, speichern sie diese Erinnerung ab – und wollen mehr. So schwindet die Distanz zwischen Stadtbewohnern und Wildtieren. Ein Spatz, der beim Kaffeeklatsch auf den Kuchenteller springt, mag noch lustig sein. Werden aber Fuchs oder gar Wildschwein allzu zutraulich und forsch, so löst das Ängste und Unsicherheit aus – Gegenwehr kann zu Bissverletzungen führen.

Also: Nicht anfassen! Füchse sind in der Stadt bestens versorgt und leisten mit ihrer Jagd auf Mäuse und Ratten sogar einen nützlichen Beitrag. Sie brauchen weder Hundefutter noch die Reste vom Sonntagsessen.

Das Füttern von Vögeln hilft nicht gegen den Verlust der Artenvielfalt

Einer Fütterung von Vögeln steht selbst der NABU kritisch gegenüber. Die Fütterung in der Stadt, so die Begründung, käme ohnehin nur den zehn bis fünfzehn Arten zugute, die nicht bedroht seien – wie Meisen, Finken oder Amseln. Ihre ganzjährige Versorgung ist keine Lösung für den Artenschwund.

Wichtiger sei die Ursachenbekämpfung: eine Agrarwende hin zu blühenden Ackerrandstreifen und Pestizidverboten. Gegen die Fütterung von Singvögeln im kleinen Rahmen sei aber nichts zu sagen, meint Claudia Harnisch von der NABU-Wildtierberatung: „Wenn eine ältere Dame, die ihre Wohnung selten verlassen kann, sich daran erfreut, dass Vögel auf ihrem Fensterbrett Rast machen, so schadet das niemandem.“ Aber die Futterstelle sollte möglichst nur für Vögel erreichbar sein und abends unbedingt immer beseitigt werden.

Ungeeignete Nahrung schadet den Wildtieren

Wer sein Herz an ein Rotkehlchen verloren hat und einer Fütterung nicht widerstehen kann, sollte bedenken: Die Qualität des Futters ist wichtig. „Was die Discounter anbieten, ist teilweise minderwertig und nicht vorsortiert. Die Mischungen enthalten beispielsweise oft Ambrosia-Samen, also Samen von einer eingewanderten und ökologisch schwierigen Pflanze“, sagt Claudia Harnisch. Besonders für Jungvögel sind manche Fertigmischungen gefährlich – zu große Nussbruchstücke können zu Erstickung führen und zu fettreiches Futter ist schwer verdaulich.

Auch für andere Wildtierfütterungen gilt: Gut gemeint ist nicht immer gut gemacht. „Ein Igel frisst keine Kartoffeln mit Sauce, sondern als Insektenfresser – wenn überhaupt – ein gutes Katzenfutter“, sagt die NABU-Expertin. Neben dem Inhalt kann auch die Aufbereitung des Futters schädlich sein: Werden Näpfe und Tränken nicht regelmäßig gereinigt, dann sind sie ein möglicher Hotspot für Infektionskrankheiten.

Tierfreunde sollten also auf die Überlebenskünste ihrer Lieblinge vertrauen: Fuchs, Waschbär und Kaninchen fühlen sich in der Stadt inzwischen so heimisch, dass sie ohne jede Hilfe zurechtkommen. So wie die Nachteulen und Partylöwen auch.

Füttern erlaubt!

Hier können TierfreundInnen guten Gewissens Leckerli verteilen:

Der Eingangsbereich des Kinderbauernhofs Pinke Panke. Im Hintergrund sieht man Schafe.
Auf dem Kinderbauernhof Pinke Pinke wohnen Schweine, Schafe, Hasen, Esel und andere Tiere. Foto: Johannes Schneeweiß

Städtisch Grün – für mehr Natur in der Nachbarschaft

Mithilfe der Fachexpertise der Stiftung Naturschutz Berlin erarbeitet die Gewobag in den kommenden drei Jahren Pflegekonzepte, um die biologische Vielfalt in den Quartieren zu fördern. Los geht es in der Paul-Hertz-Siedlung in Charlottenburg-Nord. Hier werden die bestehenden Grünflächen nachhaltig weiterentwickelt und ökologisch aufgewertet. Das übergeordnete Ziel des Gemeinschaftsprojektes: der langfristige Erhalt sämtlicher Funktionen der wohnungsnahen Grünanlagen für Mensch, Tier und Stadtklima.

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